5 Jahre Fukushima: Erdbeben, Tsunami, Super-GAU

Zerstörtes Reaktorgebäude 1 in 2011. Foto: TEPCO

Am 11. März 2011 um 14:46 Uhr Ortszeit ereignete sich vor der Sanriku-Küste der japanischen Region Tōhoku ein starkes Seebeben. Das Epizentrum lag vor der Küste der Präfektur Miyagi etwa 400 Kilometer nordöstlich von Tokio und 130 km östlich von Sendai, das Hypozentrum des Bebens lag nach Angaben des United States Geological Survey (USGS) in etwa 32 Kilometer Tiefe. Selbiges hatte eine Stärke von 9,0 gemessen. Es gilt als stärkstes Beben in Japan seit Beginn der dortigen Aufzeichnungen. Die kurze Dauer des Bebens von nur 150 Sekunden reichte aus, um eine knapp 15 Meter hohe Flutwelle in Gang zu setzen, die teilweise bis zu 10 Kilometer ins Landesinnere vordrang, dadurch 561 Quadratkilometer des Landes überflutete, mehr als 260 Küstenorte nahezu vollständig zerstörte und über 19.000 Menschen das Leben kostete. Der durch das Seebeben ausgelöste Tsunami führte beim Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi zu einem Super-GAU. Die sechs Reaktoren standen nach der Naturkatastrophe bis zu fünf Meter unter Wasser. Auch im Kraftwerk Fukushima-Daini kam es zu einem „Ernsten Störfall“, in den Kraftwerken Onagawa und Tōkai zu „leichteren“ Vörfällen. Fünf Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen blicken wir zurück auf das was war und das, was die Zukunft bringt – zumindest vermutlich.

Zerstörtes Reaktorgebäude 3 in 2011. Foto: TEPCO
Zerstörtes Reaktorgebäude 3 in 2011. Foto: TEPCO

Die Vorkommnisse und die anschließende Informationspolitik in Fukushima-Daiichi waren so gravierend, dass sie selbst das Reaktorunglück von Tschernobyl am 26. April 1986 beinahe in den Schatten stellte. Die Unfallserie begann mit dem Erdbeben und lief gleichzeitig in vier von sechs Reaktorblöcken ab. Den großen Belastungen der Erdbewegungen konnte das Kraftwerk nicht standhalten. Aufgrund der Erdstöße wurde die Blöcke 1 bis 3 des Atomkraftwerks schnell und automatisch abgeschaltet. Die Blöcke 4 bis 6 waren außer Betrieb. Als die Betreiber dachten, das Schlimmste sei überstanden, rollte der Tsunami an, walzte sich über den Schutzdamm vor dem Kraftwerk und richtete enorme Zerstörungen an. Das Erdbeben hatte die Stromleitungen gekappt, die Kühlungen fielen aus. Der Tsunami überschwemmte die Dieselgeneratoren. In Reaktor 1 wurden die Notstrombatterien zerstört, 15 Stunden ohne Kühlung schmolzen die Brennstäbe und es kam zur Explosion, die das Reaktorgebäude zerstörte. Die Bilder gingen um die Welt. Auch in den Gebäuden 3 und 4 kam es nacheinander zu Explosionen.

Kontrollraum für Reaktorgebäude 3 in 2011. Foto: TEPCO
Kontrollraum für Reaktorgebäude 3 in 2011. Foto: TEPCO

Die Tokyo Electric Power Company (TEPCO) war auf eine solche Katastrophe nicht vorbereitet. Als der Strom ausfiel, waren auch die Messanzeigen in den Kontrollräumen tot. Viele Stunden vergingen, bevor es gelang, tragbare Batterien aufzutreiben und diese anzuschließen. Doch die Techniker waren mit dem Anschluss solcher Akkumulatoren nicht geschult, mussten erst nachlesen wie diese anzuschließen sind. Lastkraftwagen mit Notstromgeneratoren steckten auf den zerstörten Straßen fest, Helikopter konnten die schweren Geräte nicht transportieren. Als die Lkw ankamen, waren die Kabel zu kurz um die Aggregate anzuschließen. Da war es kurz nach Mitternacht, auf dem mit Trümmern übersähten Gelände stockdunkel und laufend erschütterten Nachbeben die Erde. Nach 15 Stunden gelang es mehreren Arbeitern, ein mehrere Tonnen schweres und 200 Meter langes Kabel von Hand auszurollen und am noch einzigen Stromanschluss im ersten Stock von Block 2 anzuschließen. Kurz danach wird dieses bei der Explosion von Block 1 zerstört.

Radioaktive Verseuchung

In den ersten Tagen nach der Natur- und Nuklearkatastrophe wurden aufgrund von Explosionen, Druckentlastungen (Ventings) und anderen Prozessen erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe in die Umwelt freigesetzt. Der Großteil stammte aus den Reaktoren der Blöcke 1 bis 3. In Fukushima wurde neben Cäsium-137 und Jod 131 auch Strontium 90 freigesetzt. Während Cäsium vom Muskelgewebe aufgenommen wird, lagert sich Jod in der Schilddrüse ein und Strontium in den Knochen. Diese radioaktiven Substanzen sind weder zu sehen, noch zu riechen oder zu schmecken, dafür aber hochgradig krebserregend. Diese Staubpartikel verteilten sich in Verbindung mit Niederschlag über das ganze Land und darüber hinaus. Verschluckt man selbige, lagern sich die Partikel in den körpereigenen Zellen ein und bleibt dort für lange Zeit. Der Körper ist dadurch dauerhaft einer Radioaktivität ausgesetzt. Die Japaner wollen dies verhindern und kontrollieren das Trinkwasser und die Lebensmittel. Die Grenzwerte sind nicht nur wesentlich strenger als bei uns und nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in den betroffenen Gebieten, das Kontrollnetz ist auch viel dichter. Neben den Niederschlägen gelangten radioaktive Stoffe auch mit dem austretenden Wasser ins Meer.

Neues Beben und Tsunami große Gefahr

Der Leiter des Kernkraftwerkes Fukushima-Daiichi Akira Ono äußerste sich vor dem sich jährenden Jahrestag vor Journalisten und gab bekannt, dass man im Falle eines neuen starken Bebens verbunden mit einem großen Tsunami nicht noch einmal kopflos zusehen werde. In den vergangenen Jahren seien diverse Katastrophenübeungen unter Berücksichtigung dieser Szenarien durchgeführt und temporäre Küstenbarrieren errichtet worden, die auch Wellen bis zu 15 Metern Höhe standhalten würden. Ono gab weiter bekannt, dass es noch ein weiter und komplizierter Weg von der jetzigen Situation bis zur endgültigen Stilllegung der Anlage sei. Laut TEPCO sind die Bedingungen auf dem Gelände der Anlage stabil, die Arbeiten zur Stilllegung zu etwa zehn Prozent bewältigt. Eine vollständige Stilllegung wird geschätzt dreißig bis vierzig Jahre dauern. Dabei ist die größte Herausforderung die Bergung der geschmolzenen Brennstäbe in den zerstörten Reaktoren, deren Verbleib noch nicht feststeht.

Unterdessen war Mitte Februar ein von Kraftwerksbetreiber TEPCO festgesetzter Testbetrieb zur Verbrennung von kontaminierten Arbeitsabfällen überraschend abgesagt und verschoben worden. TEPCO gab an, dass an einer Kühleinheit für den Ausstoß der beiden Verbrennungsöfen Wassertropfen festgestellt wurden, die von einem Leck stammen könnten. Bis Ende Februar sollte dieser Test nachgeholt worden sein. Die Ergebnisse der Test sollten zeigen, wie effektiv die Filter für radioative Partikel an den Abluftleitungen sind.

Betonschicht und Eiswall

Fünf Jahre nach dem Super-GAU sind etwa 95 Prozent der Atomruine mit einer Betonschicht überzogen und ein Großteil der Trümmer beseitigt. Rund 7.500 Arbeitskräfte von TEPCO und anderen Vertragsunternehmen sind täglich auf dem Gelände tätig. Eine weitere große Herausforderung ist die Bewältigung von täglich Hunderten Tonnen Grundwasser, das auf das Gelände der Atomruine und somit in die Untergeschosse der Reaktoren läuft. Hier vermischen sich diese mit dem Wasser, das TEPCO zur Kühlung der Reaktoren nutzt. In mehreren, insgesamt 850.000 Tonnen fassenden Wassertanks wird das radiaktiv belastete Wasser nach dem Durchlaufen des Filtersystems abgelagert. Etwa 750.000 Tonnen sind bereits angefallen. Aus diesem Grund möchte TEPCO die Kapazität noch auf 950.000 Tonnen erhöhen. Ein Eiswall, bestehend aus rund 1.600 Rohren, die ins Erdreich reichen und mit Kühlflüssigkeit gefüllt sind, sollen den ständigen Zufluss von Grundwasser zukünftig stoppen. Die japanische Regierung gab 2013 bekannt, dass täglich 300 Tonnen radioaktives Wasser ins Meer strömten. Aus diesem Grund entschied man sich zum Bau des unterirdischen Schutzwalls aus gefrorenem Erdreich.

Gefriereinheit des Eiswallprojektes. Foto: TEPCO
Gefriereinheit des Eiswallprojektes. Foto: TEPCO

Die Atomaufsichtsbehörde NRA bremste das Eiswall-Projekt vorerst aus, erlaubte aber den vorläufigen teilweisen Betrieb. Die Behörde stellte die Effektivität infrage, da sie vermutet, dass radioaktive Abwässer bei einer Aufstauung der Grundwasserpegel innerhalb eines fallenden Barrierespiegels aus den Reaktorgebäuden gelangen könnten. Gleichzeitig will die NRA die Messposten in Sperrgebietsgemeinden und Evakuierungszonen aufstocken.

Vertuschung einer Kettenreaktion?

Bis heute liegt der Verdacht nahe, dass die Natur- und Atomkatastrophe in Fukushima von Betreiber, Regierung und Aufsichtsbehörden heruntergespielt und die ganze Wahrheit vertuscht wurde. Zwar gestanden die Verantwortlichen Monate nach dem Super-GAU ein, dass es einen atomaren Unfall gegeben hatte, der in der Dimension mit der Katastrophe von Tschernobyl vergleichbar ist, aber Experten werfen TEPCO und anderen eine „Verharmlosung“ und bewusste Täuschung der Öffentlichkeit vor. Professor Yukio Yamaguchi von der Universität Tokyo vermutet, dass es sich bei der heftigen Explosion in Reaktor 3 nicht um eine Wasserstoffexplosion handelte, sondern um eine nukleare. Diese Meinung bestätigt auch der Nuklearingenieur Arnold Gundersen, der die Explosion in Realtor 3 als wesentlich heftiger deutet, als die Wasserstoffexplosion in Reaktor 1. Die amerikanische „Nuclear Regulatory Commission“ vermutete früh, dass die Explosionen die Folge von unkontrollierbaren Kettenreaktionen waren. Hätten die Experten recht, so muss weitaus mehr radioaktives Material freigesetzt worden sein, als bisher von der Regierung eingestanden.

Und natürlich kann man vermuten, dass das Krisenmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit der japanischen und internationalen Atomlobby bewusst manipuliert oder geschönt wurde, denn auch nach dem Super-GAU in Japan setzt man weiter auf das globale Multimilliardendeschäft mit der Kernenergie, ohne Rücksicht auf jegliche Folgen für Mensch und Natur. TEPCO hatte über die Jahre vor dem Tsunami Studien missachtet, die genau solche Naturkatastrophen vorhersagten. Man hatte weder den Schutzdamm entsprechend erhöhnt, noch die Notstromdiesel vor Überflutungen geschützt. Dazu fehlten auch die sogenannten Rekombinatoren, die Wasserstoffgas im Reaktorgebäude schadlos verbrennen. Die Quittung für diesen leichtfertigen Umgang mit Sicherheitskonzepten gab es prompt. Und die Nachwirkungen sind noch viele Jahrzehnte spürbar.

Gesundheitliche Folgen

Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) hat aktuell einen Bericht über die Folgen von Japan und dem Super-GAU in Fukushima vorgelegt. Dabei wird besonders deutlich, dass die Ärzte weiteren Forschungsbedarf als zwingend notwenig erachten. Laut der IPPNW wurden bisher bei rund 370.000 japanischen Kindern inzwischen 115 nachgewiesene Schilddrüsenkrebsfälle registriert. Dabei bemängeln die Ärzte, dass es derzeit keine offizielle Forschungspraxis in Japan gibt, sondern lediglich der Schilddrüsenkrebs erforscht wird. Obwohl die IPPNW Klarheit schaffen möchte, ist die Forschung auf diesem Gebiet längst noch nicht abgeschlossen – diese dauert noch viele Jahre an.

Die japanische Tageszeitung „Tokyo Shimbun“ berichtete zudem, dass immer mehr Japaner an den Folgen der jahrelangen Flucht vor der Strahlung sterben. Schuld sind die gesundheitlichen Auswirkungen des harten Lebens in den provisorischen Behelfsunterkünften. Viele Japaner begingen und begehen Selbstmord. Der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete im Nordosten des Landes kommt auch fünf Jahre nach der Natur- und Nuklearkatastrophe nur schleppend voran.

Laut einer Untersuchung der Universität Tokyo zwischen Ende 2012 und 2014 zum Thema der Entwicklung von Nutzvieh und Wildtieren seit der Fukushima-Katastrophe, ist bei Flussfischen aus der Präfektur Fukushima ein steigender Trend von Anämie (Blutarmut) festgestellt worden. Durch den Anstieg von Cäsium-137 nahm die Menge an Hämoglobin in roten Blutkörperchen in den Muskeln ab. Drei Flüsse waren im Rahmen der Untersuchung kontrolliert worden. Bei allen gab es identische Ergebnisse und somit einen klaren Zusammenhang.

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte die Präfekturverwaltung von Fukushima eine Untersuchung, nach der die Zahl der einstigen Evakuierten, die fünf Jahre nach der Katastrophe in temporären Flüchtlingsunterkünften oder bei Verwandten leben, auf etwa 100.000 gesunken ist. Noch im Jahr davor waren es rund 121.600. Noch im Mai 2011 war die Zahl mit rund 164.900 am höchsten.