Bahnbetriebswerk Gerstungen

Der Bahnhof Gerstungen wurde nach 1945 stark von der Deutschen Teilung zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland betroffen. Dies betraf zunächst zahlreiche Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge, die über Herleshausen und Bebra in Sammellager überstellt wurden. Bereits während der US-amerikanischen Besatzungszeit in Thüringen florierte der Schmuggel, in den 1950er Jahren wurden die grenznahen Orte bei Eisenach durch ihre verkehrsgünstige Lage zur Drehscheibe von Fluchthelfern und Menschenhändlern. Entsprechend scharf wurde deshalb der Bahnverkehr in die westlichen Nachbarorte von Eisenach überprüft. Personenzüge nach Gerstungen wurden am Bahnhof Wartha verschlossen, um das Abspringen im hessischen Gebiet um den Bahnhof Herleshausen zu verhindern. 1952 wurde der Personenverkehr nach Eisenach eingestellt. Es wurden ersatzweise Buslinien für die Personenbeförderung nach Gerstungen eingerichtet. Die Gleisanlagen dienten dem Güterverkehr (insbesondere Kalibergbau) und durchfahrenden Interzonenzügen, deren Grenzabfertigung auf DDR-Seite bereits im Bahnhof Wartha stattfand. Von und nach West-Berlin verkehrende Militärzüge der Besatzungsmächte passierten den Bahnhof ohne Kontrollen.

Zwischen den Jahren 1963 bis 1990 gab es zwei Bahnhöfe in Gerstungen. Den Thüringischen Bahnhof Gerstungen für den Regionalverkehr und die Grenzübergangsstelle Gerstungen (GÜST) für die Pass- und Zollkontrollen der grenzüberschreitenden Reise- und Güterzüge zwischen der damaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Die GÜST Gerstungen entstand mit der Umgehungsstrecke Gerstungen – (Dietrichsberg) – Förtha – Eisenach. Zum Jahr 1963 waren die Grenzkontrollen vom Bahnhof Wartha (Werra) nach Gerstungen verlegt worden, auch die internationalen Reisezüge befuhren ab diesem Zeitpunkt die genannte Umgehungsstrecke. Damit verbunden war, dass einheimische Reisende, die in die Bundesrepublik Deutschland fahren wollten oder von dort kamen und dann Gerstungen zum Reiseziel hatten, in der GÜST weder ein- noch aussteigen durften.

Einige Zeit verkehrten Zubringerzüge GÜST Gerstungen – Eisenach – GÜST Gerstungen für Reisende von/nach Eisenach, da ein Teil der internationalen Reisezüge in Eisenach keinen Verkehrshalt hatten. Reisende nach Gerstungen stiegen also in den Zubringer um, fuhren nach Eisenach, stiegen dort in den Reisezug nach Gerstungen, der sie auf der gleichen Strecke zum Regionalbahnhof Gerstungen brachte. Beide Bahnhöfe sind etwa 100 Meter voneinander entfernt.

In dem Internationalen Kursbuch der DR war ein Halt der grenzüberschreitenden Reisezüge auf der GÜST Gerstungen bis zur Ausgabe 1989/90 überhaupt nicht vermerkt. Die entsprechenden Fahrplantabellen enthielten lediglich das Zeichen „Zug fährt im entsprechenden Bahnhof durch“, obwohl diese Züge bis zu 50 Minuten Kontrollaufenthalt hatten und peinlichst „gefilzt“ wurden. Nach der Grenzöffnung erreichte der Reisende die Bahnhofsanlage der GÜST durch den „Schwarzen Tunnel“, eine etwa 150 Meter lange Unterführung, die die gesamten Bahnanlagen unterquert und nur dem Zoll- und Grenzpersonal zugänglich war. Überhaupt waren die Anlagen der GÜST absolutes Sperrgebiet, zu denen nur Personen mit Sondergenehmigungen Zutritt hatten. Selbst das Personal des Hilfszuges wurde bei Havarien und Unfällen genau ausgesucht und musste im Besitz eines Passierscheines sein, bevor es in den GÜST-Bereich einfahren durfte.

Für Gerstungen Ort und Gerstungen (Gv) gab es auch zwei verschiedene Tarife, entsprechend der Entfernung. Für die Fahrt über Gerstungen (Gv) in die Bundesrepublik Deutschland wurden 2,02 km mehr berechnet als nach Gerstungen selbst, da die Grenze von der GÜST noch 2,02 km entfernt war. Wer eine Fahrkarte nach Gerstungen Ort löste, zahlte für 2,02 km weniger, musste aber im Besitz eines gültigen Passierscheines für den Aufenthalt im „5 km-Schutz-streifen an der Staatsgrenze West“ sein, oder im Personalausweis den entsprechenden Sperrzonenstempel haben. Diese Prozeduren waren mit Öffnung der Grenze und der Einheit Deutschlands schlagartig Geschichte.

Im Mai 2012 begann der Abriss des Bahnbetriebswerkes und des Grenzbahnhofs, um Platz für einen Solarpark zu schaffen. Auch der ehemalige Lokschuppen und der Wasserturm wurden beseitigt. Die Güst hatte Anfang der 90er Jahre seinen Status als Denkmal verloren. Damals wollte sich ein Versandhaus auf dem gelände niederlassen, doch daraus wurde nichts. Die Gemeinde war also froh, einen Investor gefunden zu haben, der seine Pläne auch realisiert. Die Solarmodule liefern fast das Doppelte an Leistung, was die rund 2700 Haushalte in Gerstungen pro Jahr an Strom verbrauchen.

Quellen: Wikipedia, grenzzaunlos.de, Festschrift Gottfried Schurke

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Dokument erstellt am 22.05.2011
Letzte Änderung am 03.07.2014

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.