Brutalismus – Geliebt und gehasst zugleich

Habitat 67, Montreal. Foto: Concierge.2C/CC BY-SA 3.0

Der Begriff Brutalismus (Ableitung von „béton brut“, wörtlich „roher Beton“ – dem französischen Ausdruck für Sichtbeton) wurde 1950 vom schwedischen Architekten Hans Asplund geprägt. Weltweit bekannt machte den zum Architekturstil der Moderne zugehörigen Baustil der schweizerisch-französischer Architekt, Architekturtheoretiker und Stadtplaner Le Corbusier. Obwohl der Brutalismus als ein fester Teil des kulturellen Lebens angesehen wird, galten die zugehörigen Bauwerke lange Jahre als Bausünden – wurden geliebt und gehasst zugleich. Der Brutalismus hatte seine Blütezeit zwischen 1953 und 1967 und löste die internationale Moderne der Nachkriegszeit ab. Die von den britischen Architekten Alison und Peter Smithson geschaffene Smithdon Highschool in Hunstanton gilt als erster brutalistischer Bau in der Geschichte.

Rathaus Terneuzen, Niederlande. Foto: Friedrich Tellberg/CC BY-SA 3.0
Rathaus Terneuzen, Niederlande. Foto: Friedrich Tellberg/CC BY-SA 3.0

In den 50er Jahren schaffte man Betonklötze, um möglichst viele Menschen unterzubringen. Le Corbusier experimentierte mit Plattenbauten in den USA, andere erschufen Großraumbüros. Es wirkte, als erprobe man einen neuen Baustil und warte auf die Resonanzen. Während Großraumbüros nachweislich krankmachen, entwickelten sich Plattenbauten – die wie Legebatterien wirkten – zu sozialen Brennpunkten, zogen Vandalen an und die Kriminalität erhielt Einzug. Man entschied sich also, die Wohnbetonklötze abzureißen. Es entstanden weltweit Bauwerke, die den Baustoff Beton in seiner Ursprünglichkeit und Rohheit betonten und noch heute betonen. Beton brutal – der Kreativität der Architekten schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. Die baugeschichtliche Forschung – gerade auch beim Brutalismus – trägt erheblich zur Fundierung des Denkmalschutzes für die dem Baustil zugehörigen Bauten bei.

Boston City Hall, Boston. Foto: Daderot/CC0
Boston City Hall, Boston. Foto: Daderot/CC0

Zu den bemerkenswertesten Bauten weltweit gelten das Kloster Sainte-Marie de la Tourette (Le Corbusier) in Frankreich, die Geisel Library (William L. Pereira & Associates) in San Diego, die Hayward Gallery (Hubert Bennett/Jack Whittle) in London, der Wohnhauskomplex Habitat 67 (Moshe Safdie) in Montreal, das Hochhaus Torre Velasca (BBPR group) in Mailand, die Robarts Library (Warner, Burns, Toan & Lunde mit Mathers & Haldenby) in Toronto sowie in Deutschland die Ruhr Universität (Hentrich, Petschnigg & Partner) in Bochum, das BMW-Museum (Karl Schwanzer), das Pharao-Haus (Karl Helmut Bayer) und das Arabella Hochhaus (Toby Schmidbauer) in München, die Evangelische Friedenskirche (Walter Förderer) in Monheim am Rhein und viele weitere.

Geisel Library, San Diego. Foto: belisario/CC BY-SA 2.0
Geisel Library, San Diego. Foto: belisario/CC BY-SA 2.0

Viele Gebäude wurden jedoch bis heute auch abgerissen, hier kam jede Hilfe zu spät. Selbst Ikonen stehen noch immer auf der Abrissliste. Stadtväter und Otto-normal-Bürger tun sich schwer damit, Zugang zu diesem Architekturstil zu finden. Der Brutalismus erlebt in heutigen Zeiten allerdings wieder eine höhere Aufmerksamkeit und vor allem immer mehr Liebhaber. Auf Facebook gibt es beispielsweise die Brutalism Appreciation Society oder die Kampagne #SOSBrutalism (wir berichteten). Beide würdigen nicht nur die Bauwerke und zugehörige Schaffer, sie kämpfen auch für die Existenz selbiger. Sogar Architekten haben den Baustil wiederentdeckt und bauen heute ähnlich, wenn auch nur begrenzt. Galten die Konstrukte der gescholtenen Baumeister früher als denkmalunwürdig und inhuman, so wollen heranwachsende Denkmalschützer jene Beuten heute unbedingt erhalten.