Chemnitz im Abbruchrausch

Von André Winternitz – 05. Dezember 2013

Chemnitz will es nun wissen und sich möglichst schnell von weiteren unliebsamen Industriebrachen trennen, um Platz für Immobilienspekulanten zu machen. Damit sich die „Stadt der Moderne“ Fördergelder zur Beseitigung von Brachen aus Dresden und Brüssel sichern kann, sollen bis 2016 jährlich mehrere Hunderttausend Euro bereitgestellt werden. Für die Jahre 2014 bis 2017 sind für Abbrucharbeiten – unter anderem sollen die ehemalige Zahnradfabrik, Textima Elektronik, die Nadel- und Platinenfabrik, das Buchungsmaschinenwerk, der Spinnereimaschinenbau, der Chemiehandel und die Ruine der Fahrzeugelektrik verschwinden. Vorgesehen sind dafür rund 1,57 Millionen Euro – der maximal mögliche Rahmen für Fördergelder aus den Programmen des Freistaates Sachsen und der EU.

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Auch auf der Abbruchliste: Die Textima Nadelfabrik

Doch auf der „Abbruchliste“ stehen weit mehr Objekte als derzeit genannt. Da aber die Grundstückseigentümer ihre finanzielle Beteiligung zusichern müssen und umfangreiche Auflagen und Bedingungen erforderlich sind um Förderanträge einzureichen, sind der Öffentlichkeit noch nicht alle vorgesehenen Brachen bekannt, wohlaber in den städtischen Gremien. Das das Land bis zu 90 Prozent zusteuern kann und aus dem Europäischen Fonds EFRE – dieser läuft Ende diesen Jahres aus und ist voraussichtlich ab 2015 wieder verfügbar – 60 bis 75 Prozent an Zuschüssen kommen, muss die Industriestadt 10 bis 40 Prozent der Kosten aufbringen. Beim aktuellen Haushalt nicht immer ganz einfach und kaufmännisch gesehen wirtschaftlich nicht tragbar.

Die Stadt hat im Zeitraum von 1998 bis einschließlich 2013 insgesamt 22 städtische und private Industrieruinen oder -brachen mit fast 48 Hektar Fläche beseitigt und einer neuen Nutzung zugeführt. Dies sind unter anderem Handels- oder Fastfoodketten sowie Gewerbe aus allen Sparten. 22 Millionen Euro hatte man in diesen Jahren investiert, davon stammten 4,4 Millionen Euro aus dem städtischen Haushalt, 6,7 Millionen Euro aus Landesmitteln und 5,4 Millionen Euro waren EU-Gelder.

Man darf also gespannt sein, was in der nächsten Zeit so alles geschieht. Fakt aber ist: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.