Expeditionen zum Nullpunkt der Moderne

Von André Winternitz – 03. Februar 2014

Bunker wirken kalt und verängstigend, sind extreme Bauwerke für ebenso extreme Situationen. Das neue Buch von Kunsthistoriker Christian Welzacher (erschienen beim Verlag Matthes & Seitz) erkundet die NS-Bunker im Atlantik und untersucht die Verstrickungen von Architektur und Krieg. Von allen Gebäudetypen der Moderne fasziniert nur noch der Wolkenkratzer die Menschen in ähnlicher Weise wie der Bunker. Bunker sind Bauwerke von mythischer Qualität und gleichzeitig ein Schlüssel zum Verständnis der Moderne.

030214Über die reine Architekturgeschichte hinausgehend widmet sich Christian Welzbacher in diesem ungewöhnlichen, Grenzen sprengenden Essay dem Phänomen Bunker und seinem Erfinder, dem Menschen. Er spannt den Bogen von der schutzbietenden Höhle über Le Corbusiers Betonkirche Ronchamp bis hin zu den heute entstehenden neuen Formen der Cyberbunker, Ausdruck von Angst und Misstrauen, das sich in die virtuelle Welt verlagert hat. Was verrät uns der Bunker über das Wesen des Menschen?

Bunker haben nicht nur den Zweck, die eigenen Stellungen zu festigen und einen Angriff des Gegners zu erschweren. Sie dienen vielmehr auch als Abschreckung und sind Zeugnis von Macht. Aber auch umgangssprachlich nutzen wir oft den Begriff „Bunker“. Beispielsweise reden wir vom „Geld bunkern“ und somit schaffen wir eine völlig neue Sichtweise auf ein doch eher unbekannteres Thema. Denn bei Bunkern, egal welcher Verteidigungsart sie dienten, blickt der Ottonormalbürger doch eher auf die kalte Außenhülle, andere kennen nicht mal die Existenz von selbigen. Wir krass und wirklichkeitsfremd einige Länder mit dem Bau von Schutzbauten umgeangen sind. In Albanien beispielsweise ließ Enver Hoxha (ehemaliges Staatsoberhaupt von 1944 bis 1985)circa 700.000 Bunker an strategisch wichtigen Punkten bauen, um die Unabhängigkeit des Landes zu sichern. Dafür wurde gezielt die Betonindustrie angekurbelt und teurer Spezialstahl importiert. Die gesamte Küste ist mit größeren Bunkern für Geschütze und kleineren für Personen durchzogen worden. Wegen der massiven Bauweise wäre eine Beseitigung sehr kostenintensiv, deshalb lässt man sie noch heute stehen.

Der Leser wird konfrontiert mit Bunker-Analogien, Bunker-Metaphern und Endzeit-Phrasen. Den Bunker als inneres Erlebnis vermitteln dem Leser Erzählungen von Zeitzeugen, Betroffenen und Fachleuten, liefert Einblicke in die Angst von Schutzsuchenden oder die, die den Schutz als Wohlgefallen schildern. Hier übt sich der Autor gekonnt in einer Prosa des Makabren. Ein weiterer Bestandteil des Buches sind die Fotoarbeiten des Künstlers Stefan Kiess, der die klassischen Bunkerformen ins Geometrische illustriert.

Bunker
Expeditionen zum Nullpunkt der Moderne
188 Seiten, Klappenbroschur mit offenem Rücken
10 Abbildungen
ISBN: 978-3-88221-093-4
Preis: 22,90 Euro