Hashima – vom Kohlejuwel zur Geisterinsel

Von André Winternitz – 15. Juni 2010

Aus der Ferne betrachtet sieht die rund 6,3 Hektar kleine Insel Hashima aus wie ein Kriegsschiff, aus diesem Grund nennen die Japaner selbige auch Kriegsschiffinsel (Gunkanjima). Hashima liegt einige Kilometer vor der Küste von Nagasaki, hat eine Länge von 480 Metern, eine Breite von 160 Metern und ist seit über 35 Jahren verlassen. Früher wurde hier vom Mitsubishi Konzern von 1890 bis 1974 unter dem Meeresboden Kohle abgebaut, 5000 Menschen wohnten dicht gedrängt auf der Insel. Diese galt als einer der am dichtesten besiedelten Orte der Erde.

Hashima bezieht ihren Namen „Grenzinsel“ nicht ohne Grund. Von der Hauptinsel aus gesehen ist es die letzte zu Japan gehörende sichtbare Insel in dieser Himmelsrichtung. Da die Insel direkt an der Wasserlinie von einer massiven, 8 bis 10 Meter hohen Schutzmauer gegen hohen Seegang vollkommen umgeben ist, wirkt die Silhouette in der Dämmerung zusammen mit Ihren Aufbauten und Fördertürmen – die zwischenzeitlich größtenteils demontiert wurden bzw. eingestürzt sind – und nicht zuletzt wegen der vergleichbaren Größe an die eines Kriegsschiffes. Schon kurz nach der Fertigstellung der Schutzmauer (1921) benannte ein Reporter der Nagasaki Daily News die Insel so, weil sie nun an die Kriegsschiffe der Tosa-Klasse erinnerte, dem damaligen Stolz der japanischen Marine. Auch beschossen wurde Hashima im Zweiten Weltkrieg von einem US-amerikanischen U-Boot mit einem Torpedo, dieser Angriff galt allerdings einem Kohlefrachter, der vor der Insel vor Anker lag.

Die Bergleute, die mit besonders günstigen Konditionen und Ermäßigungen auf die Insel gelockt wurden, begannen mit dem Bergbau unter der Leitung des Mitsubishi-Konzerns – damals eines der großen Zaibatsu (Wirtschaftskonglomerate) – auf der Insel bereits in den 1916er Jahren. Zu dieser Zeit wurde hier auch Japans erstes mehrstöckiges Wohngebäude aus Stahlbeton errichtet. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Belegschaft gegen chinesische und koreanische Zwangsarbeiter ausgetauscht. Die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen forderten weit über 1.000 Tote. Die Leichen wurden entweder in aufgegebenen Stollen verscharrt oder ins Meer geworfen.

Die Infrastruktur auf Hashima wurde fortlaufend ausgebaut, aufgrund der begrenzten Fläche auch vielfach unterirdisch. Neben den Wohn- und Verwaltungsgebäuden, die mit Treppen und unterirdischen Gängen verbunden waren, existierten auch Tempelanlagen und Schreine, eine Polizeistation, ein Postamt, Badeanstalten, eine Kläranlage, ein Kindergarten, Grund- und weiterführende Schulen (alle in einem Gebäude), eine Turnhalle, ein Kino, Gaststätten, eine Kegelbahn, 25 Geschäfte, ein Hotel, ein Krankenhaus, ein kleines Hallenbad und sogar ein Bordell; lediglich ein Bestattungswesen fehlte. Elektrizität und Wasser wurde über unterseeische Leitungen von der Hauptinsel bezogen, Gemüse, Tee oder Kräuter pflanzten die Bewohner auf ihren Dachgärten an.

Im Laufe der Energiereformen wurde die Stilllegung der Werke am 15. Januar 1974 beschlossen. Bis auf ein Demontagekommando waren alle Bewohner Hashimas auf der Stelle arbeitslos und hatten dementsprechend große Eile, die Insel zu verlassen; das letzte Boot verließ die Insel bereits am 20. April 1974. Nicht nur die Gebäude und Maschinen sondern viele persönliche Gegenstände wie Möbel, Spielzeug oder Unterhaltungselektronik, deren Gegenwert den aufwändigen Abtransport nicht rechtfertigte, mussten an Ort und Stelle zurückgelassen werden und sind auch heute noch dort zu finden.

Für viele Japaner gilt Hashima als Mahnmal der rücksichtslosen Industrialisierung und Ausbeutung von Mensch und Natur – auch im Hinblick auf die unrühmliche Funktion als zeitweiliges Arbeitslager. Jahrzehntelang durfte diese Insel nicht betreten werden, sie galt als Sperrgebiet. Der Verfall schreitet unaufhaltsam voran, große Teile der Gebäude und Werkskomplexe sind teilweise eingestürzt oder einsturzgefährdet. Graffiti, Feuerstellen, Abfälle und weitere menschliche Hinterlassenschaften deuten allerdings darauf hin, dass das im Volksmund der Umgebung auch als Geisterinsel bezeichnete Eiland vor allem Jugendliche in seinen Bann zog.

Heute hat Nagasaki das touristische Potential der Insel entdeckt und bietet regelmäßig Umrundungen mit Booten an. Zudem wurde ein gesicherter Besichtigungspfad installiert. Seit April 2009 ist Hashima erstmals nach 35 Jahren wieder für Besucher zugänglich.

Quelle: Wikipedia, CABINET, Nagadok

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Dokument erstellt am 26.09.2010
Letzte Änderung am 30.06.2014

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.