Motodrom Gelsenkirchen – Als im Pott noch Rennwagen rasten

Früherer Motodrom Gelsenkirchen. Foto: rottenplaces

Fährt man heute durch den Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf, vermutet man als Ortsunkundiger nicht, dass hier früher Alt- und später Rennwagen um Ruhm und Ehre rasten. Am Ende der Almastraße, auf dem Brachgelände der früheren Kokerei Alma rief 1969 der Präsident der „Rheinländischen Altwagen-Gemeinschaft“ (RAG), Anton Brenner (genannt der „Ecclestone des Reviers“ – aus dem Buch „Als Oppa Mopped fuhr“, ISBN 978-3942094467, Anm. d. Red.), den „Motodrom Gelsenkirchen“ ins Leben. Über die Jahre entwickelte sich die Pottstadt zum motorsportlichen Epizentrum zwischen Rhein und Ruhr.

Frühere Strecke mit Streckenmarkierung. Foto: rottenplaces

Auf der im Volksmund „Almaring“ genannten, asphaltierten Rennstrecke wurden Altwagen-und Motorradrennen und in den Folgejahren Autospeedway-Rennen – sogar Meisterschaften durchgeführt. Gestartet wurde der Rennbetrieb allerdings auf einer Schotterpiste. Ab 1977 rollten die Rennwagen dann auf einer 750 Meter langen und 7,5 Meter breiten Asphaltbahn. Normalerweise gingen anfangs nur schrottreife Fahrzeuge an den Start, die für das Rennen nach entsprechenden Sicherheitskriterien wieder fahrfertig gemacht und mit Überrollkäfigen ausgestattet waren. Nach Angaben von Zeitzeugen des Forums „Gelsenkirchener Geschichten“ durften teilweise auch Amateure mit ihren Privatfahrzeugen an den Start (Straßenlauf, Anm. d. Red.). Man kann sich die Not ausmalen, wenn ein solches Privatfahrzeug beschädigt oder schlimmer geschrottet wurde.

Typografische Streckenmarkierung. Foto: rottenplaces

In den goldenen 60er bis 80er Jahren pilgerten die Zuschauer scharenweise an die Rennstrecke, um nicht nur den Benzin-, Gummi- und Ölgeruch zu schnuppern, sondern auch packende Fahrerduelle zu bestaunen. Für kleines Geld kam jeder auf den Tribünenhügeln in den Genuss packender Duelle, riskanter Fahrmanöver und dröhnenden Motoren. Bis Mitte der 80er Jahre starteten hier in acht verschiedenen Fahrzeugklassen durchschnittlich 150 bis 200 Teilnehmer, zahlreiche Fahrer reisten sogar aus dem benachbarten Ausland an. Finanziert wurde der Rennbetrieb durch Eintrittsgelder. Für Fahrer und Zuschauer waren die Renntage eine willkommene Ablenkung von der harten Maloche. Geparkt wurde übrigens in unmittelbarer Nähe zur Rennstrecke.

Der Zahn der Zeit. Foto: rottenplaces

Nach dem Ende der 1984er-Saison verkaufte der Gründer und Veranstalter Brenner die Rennstrecke. Die Beschwerden wegen Lärmbelästigungen häuften sich. Und dabei ging es nicht nur um die dezibelstarken Gefährte, sondern auch um die Lautsprecherdurchsagen und die Menschenmassen, die sich regelmäßig über einen schmalen Zuweg am Rande eines Wohngebiets zur Rennstrecke drängten. Zahlreiche Anwohner sammelten 1982 sogar Unterschriften gegen die Durchführung weiterer Motorsport-Veranstaltungen vor Ort und übergaben diese Liste dem damaligen Oberbürgermeister Werner Kuhlmann (SPD, † 22. Mai 1992). Aus dem „Sport des kleinen Mannes“ wie Brenner die Rennveranstaltungen nannte, wurde ein Ärgernis, dass man so nicht mehr hinnehmen wollte und konnte.

Frühere Sicherheits-Installation. Foto: rottenplaces

Andere Quellen verweisen auf die extreme Kontaminierung des Alma-Geländes, die der eigentliche Grund für die Stilllegung der Rennstrecke gewesen sein soll. Der Eigentümer wollte den Fahrern und Zuschauern diese Situation nicht weiter zumuten. Belegbar sind diese Informationen heute nicht mehr. Fraglich wäre, wieso der Rennbetrieb in diesem Fall vor der finalen Entscheidung 15 Jahre aufrechterhalten wurde – die Altlasten hätten ja zuvor bekannt sein müssen – gerade von Einheimischen und Ehemaligen der Kokerei.

Ehemalige Zufahrt. Foto: rottenplaces

Heute ist die frühere Rennstrecke bis auf den Asphalt und diversen Relikten rechts und links des Weges zugewuchert und dient Einheimischen als „Gassistrecke“ für Vierbeiner, Joggingstrecke oder für ferngesteuerte Autos. Wer heute z. B. über den Emscher-Park-Radweg unmittelbar am einstigen Motodrom vorbeifährt, findet weder Hinweisschilder noch Informationen, die davon erzählen, was sich da Spannendes hinter dem dichten Wildwuchs zwischen Wohngebiet und Bahnstrecke verbirgt. Bis auf wenige Leitplanken, Betonsockel, Altreifen, Nummernblöcke und Streckenmarkierungen findet sich – wie erwähnt – nicht mehr viel auf dem Gelände.

Kurvenplanke. Foto: rottenplaces

Das einstige Motodrom Gelsenkirchen war schon früh ein positives Beispiel des „Strukturwandels“ im Pott. Denn nüchtern betrachtet gilt Anton Brenners Motodrom heute als einer von wenigen frühen Beispielen, aus den brachliegenden und zukunftslosen Überbleibseln der Industrie neue Projekte zu formen. Was Brenner früher unbewusst geschaffen hatte, findet seit dem 20. Jahrhundert in der gesamten Bundesrepublik statt. Aus alten Schuppen wurden Schrauberbuden, in ehemals strukturierte Betriebe zog neues Gewerbe ein, große Zechenareale wandelte man in Parks, Museen oder Eventlocations um und einstige Industrieruinen erstrahlen heute als Wohnraum in neuem Glanz.

Nature strikes back. Foto: rottenplaces

30 Jahre nach der Stilllegung des Motodroms erinnerte das Künstlerkollektiv „KUNSTrePUBLIK“ mit dem Projekt „Palindrom Gelsenkirchen“ 2014 an die frühere Rennstrecke. Ursprünglich wollte man ein Gedenkrennen auf der alten Strecke durchführen, diese Pläne mussten jedoch schon im Vorfeld aufgrund verschiedenster Unstimmigkeiten mit dem Eigentümer und städtischer Auflagen verworfen werden. Schlussendlich wurde im Gelsenkirchener Hauptbahnhof eine Videoinstallation zum Motodrom installiert.