Alone in the Zone 2

Von André Winternitz – 12. Januar 2014

Spätestens nach Hiroshima und Nagasaki 1945, der Kernschmelze in Harrisburg 1979 und den Nuklearkatastrophen von Sellafield 1957, Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 kann niemand mehr abstreiten, sich nicht von der Kernenergie verabschieden zu wollen und auf erneuerbare Energien zu setzen. Kommt es in Kernkraftwerken zu Havarien, sind meistens enorme Schäden für Mensch und Umwelt die Folge. Anhand des Beispiels von Tschernobyl und der idyllischen, ukrainischen Stadt Prypjat, wo infolge des Reaktorunglücks rund 50.000 Menschen viel zu spät evakuiert wurden, wird deutlich, welche Ausmaße solch ein Unglück haben kann. Das Resultat viele Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe hat Arkadiusz Podniesinski 2009 in seinem Dokumentarfilm „Into the Zone“ eindrucksvoll und bewegend festgehalten. Jetzt, vier Jahre später, ist der zweite Teil auf DVD erschienen.

120114Für seine Dokumentation besuchte der Filmemacher verbotene Orte, die anderen nicht zugänglich sind. Darunter beispielsweise Rossocha – der größte Schrottplatz für radioaktive Fahrzeuge. Zudem das Atomkraftwerk, in dem ein missglücktes Experiment 1986 zu einer Katastrophe beispiellosen Ausmaßes geführt hat. Podniesinski betrat auch den Kontrollraum von Block 4 – den Ort, an dem alles begann, indem der Verlauf der Geschichte verändert wurde. Außerdem besuchte er Chernobyl-2 und eines der wichtigsten Elemente des Frühwarnsystems vor einem nuklearen Angriff: das DUGA Überhorizontradar. Ein wichtiger Aspekt im zweiten Teil ist das Kommandozentrum, militärische Gebäude und die Ausrüstung für die Analyse der von den Antennen gesammelten Signale.

Seine Kamera ist immer bei ihm: Diese ist fest auf seinem Helm montiert. So kann jeder Zuschauer selbst die Sperrzone hautnah miterleben. Die echte Zone und nicht nur die Orte, an die einen die offiziellen Tourenführer bringen. Um zu hören, was die echten Einwohner der Zone zu sagen haben und nicht nur trockene Statistiken von Institutionen, die für Atomkraft werben. Damit ein jeder sich vorstellen kann, was derzeit in Japan vor sich geht, oder was überall dort geschehen kann, wo es Atomkraftwerke gibt, oder wo sie erst in Betrieb gehen werden. „Radioaktiver Boden und radioaktive Gebäude; Pflanzen und Tiere. Die Strahlung ist überall, unsichtbar, stumm und für keinen unserer Sinne wahrnehmbar. Doch dies ist nicht das einzige Risiko, dem ich gegenüberstand. Es geht auch um das Erklimmen hoher Konstruktionen, Antennen, Kühltürme oder Kräne. Die Aussicht auf die verlassene Stadt, die Zone und das Kraftwerk wird mir für den Rest meines Lebens in Erinnerung bleiben“, sagt Podniesinski.

Zwei Jahre seines Lebens – so sagt Podniesinski selbst – wurden für die Produktion des zweiten Teils benötigt, alleine fünf Reisen mit einem Gesamtaufenthalt von vier Wochen in der Sperrzone und Umgebung waren dafür notwendig. Wochenlange Versuche, Genehmigungen, Bewilligungen und Zulassungen zu erhalten, nicht immer mit Erfolg. „Für diese Vorarbeit schicke ich immer Freunde oder Kontaktpersonen vor, die mehr ausrichten können, als ich selbst“, sagt Podniesinski, „denn durch ihre Kontakte öffnen sich zahlreiche Türen. Ist dies nicht der Fall und ich bekomme keine offizielle Genehmigung, gehe ich trotzdem.“ Für seinen Dokumentarfilm ist der Filmemacher und Fotograf mit einem Geländewagen unterwegs. „Damit komme ich überall hin. Mit dem bin ich schon in Afrika gewesen, also sollte dieser das meistens radioaktiv kontaminierte Terrain schaffen – und das hat er“, scherzt Podniesinski. Um spektakuläre Luftaufnahmen der Stadt Prypjat zu machen, stieg Podniesinski an Bord eines alten Mi-2 Helikopters. So entstanden Perspektiven, die einen elektrisierenden Eindruck hinterließen. Für Orte, an denen das Betreten von staatlicher Seite strengstens verboten ist, nutzte der Filmemacher eine ferngesteuerte Drohne. Mit dieser waren Kamerafahrten und Sichtweisen der besonderen Art möglich.

Das Bewegendste allerdings waren für Podniesinski die Gespräche mit den letzten Einwohnern und Wiederansiedlern in der Sperrzone. „Diese erzählten mir ihre Geschichten über ein sorgenfreies Leben, das wunderschöne Prypjat. Sie sprachen von vergangenen Zeiten, ihren Träumen, und was sie heute vermissen. Den Geschichten von erzwungener Umsiedelung, dem Verlust von Heimat, Besitz und geliebten Menschen zuzuhören, ist eine bewegende Angelegenheit. Sie handeln auch von Krankheit und Tod“, erzählt Podniesinski.

Mehrere hundert Stunden Videomaterial sind auf seinen letzten Touren entstanden. Drei Stunden davon wurden auf zwei DVD´s gepresst und warten nun auf den Betrachter. Ein halbes Jahr Postproduktion liegt hinter ihm, ein Komponist lieferte die Musik zum Film. Entstanden ist ein Film, der den Betrachter in den Bann zieht, aber auch gleichzeitig mahnend wirkt. Spektakuläre Luftaufnahmen, riskante Kletteraktionen, Drohnenflüge und Kamerafahrten fesseln den Zuschauer. Die Interviews mit ehemaligen Arbeitern und Einwohnern runden das Ganze ab – spannend, erschreckend, aber informativ und sorgfältig zugleich. Der zweite Teil der Dokumentation „Alone in the Zone“ von Arkadiusz Podniesinski ist seit Anfang Dezember 2013 erschienen und in seinem Onlineshop zu erwerben. Mehr Informationen unter www.podniesinski.pl

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.