Bei dir spukt´s – „Übernatürliches“ als Massenhype

Foto: Bildmontage/Winternitz/rottenplaces.de

„Manche Leute sagen es gibt Gespenster, manche Leute sagen es gibt keine Gespenster“, so begann der Kult-Sprecher Hans Paetsch viele Male, bevor Deutschlands bekanntestes Hörspiel-Gespenst sein Unwesen trieb. Schon die Gebrüder Grimm entsandten einen furchtlosen Mann, der auf Reisen ging, um das Gruseln zu lernen. Autoren wie Clark Ashton Smith, Kelley Armstrong, Helmut Rellergerd, Stephen King, H.G. Wells oder Joseph Sheridan Le Fanu entführen noch heute eine große Zielgruppe in grenzenlose Weiten des Übernatürlichen und spielen mit der natürlichen Angst des Menschen vor allem Unerklärlichen oder Übersinnlichen. Hollywood tat gestern wie heute sein Übriges und produziert(e) unzählige Spielfilme rund um das Paranormale für die entsprechende Zielgruppe. All das hat bei vielen einen regelrechten Hype ausgelöst.

Natürlich möchte so mancher einen Spuk in welcher Weise auch immer selbst erleben. Was bietet sich da mehr an als verlassene Gebäude aller Art. In denen muss es ja spuken. Und falls noch keine gruselige Story vor Ort bekannt ist, lässt man sich einfach etwas einfallen und verweist als Quelle auf den eigenen „Bekanntenkreis“, mysteriöse „Augenzeugen“, dubiose Foren oder Szenewebseiten. So fallen – mit der Hoffnung auf den puren Grusel – weltweit täglich Tausende selbst ernannte Geisterjäger – vor allem Abenteuerlustige – mit Taschenlampen und Kompaktkameras in verlassene Gebäude ein um geschilderten Spuk selbst zu erleben – natürlich immer vergebens.

Wer denkt bei diesen dubiosen „Geisterjägern“ und entsprechenden Gruselgeschichten in Kombination mit verlassenen Orten nicht an jene wie das „Geisterhaus Hohensyburg“ in Dortmund, wo unter anderem ein Pfarrer seine Familie ermordet, Nonnen dem Satan gehuldigt, ein kopfloser Reiter auf dem Gelände sein Unwesen getrieben und drei kleine Jungen qualvoll den Tod gefunden haben sollen. Um Mitternacht soll Blut von den Wänden gelaufen sein und in einem zurückgelassenen Schrank im Dachgeschoss ein blutiges Kleid gehangen haben. Nach anderen Berichten sollen Kameras in der Nähe des Hauses nicht mehr funktioniert haben sowie aus Löchern im Boden ein beißender Gestank gekommen sein. Auch von nicht-löschbaren Feuern in selbigen Erdlöchern war die Rede. Wissenschaftlich belegt werden konnte – wie erwartet – keine dieser Behauptungen, im Gegenteil. Der „Tourismus“ vor Ort wurde so schlimm, dass das Gebäude 2009 – auch wegen der akuten Einsturzgefahr – abgerissen werden musste.

Auch unter ähnlichen „Geschichten“ muss das Kölner „Geisterhaus Fühlingen“ leiden. Hier sollen einstige Bewohner schlimme Schicksalsschläge erlitten haben, einige fanden sogar den Tod. Diese nicht belegten Gesichten seien der Ursprung eines Fluches, der auf dem wunderschönen Gebäude liegt. Noch heute sei der ehemalige Besitzer zu sehen, der als Geist umherirrt, Kriegsverbrecher und ein Richter, die im Gebäude den Freitod wählten, sollen für oftmaligen starken Verwesungsgeruch verantwortlich sein. Besucher, die heute durch das Gebäude streifen, sprechen von starken Beklemmungen, Übelkeit und anschließenden Albträumen. Auch extreme Temperaturschwankungen und versagende Autobatterien seien keine Seltenheit. Wer hier nun Fakten erwartet, der wird bitter enttäuscht – alles Hirngespinste.

Es gibt kaum ein Gebäude, über das es keine Schauermärchen zu lesen gibt. Umherwandelnde Frauen, die Autofahrern eine Todesangst einjagen, kopflose Reiter, die über die Lichtungen rasen, geisteskranke Priester die Kirchenruinen unsicher machen, Geister, die umherspuken, um von ihrem Leid befreit zu werden – kurz, das Repertoire ist unerschöpflich. Es gibt keine Geschichte, die es nicht gibt. Nicht zu vergessen sind auch die Behauptungen, in der Heilanstalt Hohenlychen in Brandenburg verschwinden immer wieder Kinder oder ertrinken im Schwimmbad der Schwimmhalle -in dem übrigens kein Wasser ist. Schon alleine darüber zu referieren entzieht sich jeder Logik, Fakt aber ist, dass es auf dem besagten Gelände bis heute weder eine Vermisstenmeldung noch einen tödlichen Unfall gab. Alleine die Tatsache, dass in den Heilanstalten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs von Naziärzten Versuche an KZ-Gefangenen durchgeführt wurden, vermittelt den geistigen Hintergrund jener, die sich Spukgeschichten zu diesem Ort einfallen und haufenweise „Spuktouristen“ dorthin pilgern lassen.

Bekanntester „Spukort“ weltweit ist das in den USA befindliche Waverly Hills Sanatorium in Louisville/Kentucky. In diesem wurden bis zur Schließung Tuberkulosekranke behandelt. Bis zur Erfindung einer erfolgreichen Behandlungsmethode gegen die tückische Lungenkrankheit starben hier viele Patienten. Noch heute ranken sich zahlreiche Geschichten und paranormale „Vorfälle“ um das riesige Gebäude, das seit Jahren in Szenekreisen als „Scariest place on earth“ geführt wird. Die Rede ist von mysteriösen Geräuschen, seltsamen Gerüchen, einem kleinen Mädchen, das sich beim Annähern in Nebel auflöst, Stimmen und wandelnden Gestalten. Auch in einem Raum, in dem sich eine Krankenschwester das Leben genommen haben soll – andere, nicht belegbare Quellen sprechen von Mord – sollen nicht erklärbare Phänomene geschehen. Der Hype ist weltweit so groß, dass der Eigentümer regelmäßige Gruseltouren durch das Gebäude anbietet. Hier hat man den finanziellen Aspekt und den Marketingnutzen solcher Geschichten längst erkannt. Auch hier gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Beweis für zitierte „Vorkommnisse“. Aber der Rubel rollt weiter und immer neue Geschichten machen die Runde.

Immer wieder findet man in den Weiten des Internets mysteriöse Fotografien oder Videos mit extrem schlechter Qualität, auf denen ein paranormales Phänomen zu sehen sein soll. Familienfotos, auf denen ein gruseliger Schatten in Form einer weiteren Person zu sehen ist, Fenster, in denen schemenhafte Personen erkennbar sein sollen und natürlich tonnenweise „Orbs“, bei denen Freunde des Okkulten die verwaisten Seelen der Verstorbenen deuten. Auf Geisterseiten im Internet ist sogar die Rede davon, die Lichtpunkte seien Ektoplasma – „eine von den Menschen ausgeschiedene Substanz“, die das menschliche Auge nicht wahrnehmen könne, Kameras hingegen schon, denn diese seien sensibler. Natürlich lassen sich die Verfechter des Paranormalen viel einfallen – gerade im digitalen Zeitalter – um die Massen hinters Licht zu führen. Je mystischer und unheimlicher eine Story ist, desto größer wird die Reichweite.

Fakt ist, oft werden Gebäude in den langen Jahren der Existenz Zeugen von Todesfällen oder Schicksalschlägen jeglicher Art. Fakten, mit denen wir bei der Recherche sensibel umgehen sollten. Die Realität aber sieht anders aus. Stößt ein Scharlatan nun bei der Recherche auf entsprechende Gegebenheiten, sind diese willkommene Lieferanten, eine immer derbere und schaurigere Geschichte für die paranormale Zielgruppe anzufertigen. Und gleiche dankt es mit Abwandlungen und dem pushen selbiger. Man wundert sich aber, warum es immer Friedhöfe, Kirchen, Burgen, Schlösser, Herrenhäuser oder ähnliche Gebäude sind, an denen sich die „Freizeit-Sinclairs“ herumtreiben und nicht eher Tierkörperbeseitigungsanlagen, Krematorien oder Pathologien – kurz Orte, an denen zahlreiche verflossene Leben querten. Vermutlich ist aber auch die Haut eines Freizeit-Geisterjägers zart besaitet und die Nerven nur begrenzt belastbar, um es einmal so auszudrücken.

Natürlich gibt es auch organisierte Gruppen, die Schilderungen oder Geschichten rund um das Paranormale professionell nachgehen und die „Vorkommnisse“ oder „paranormale Gerüchte“ durch den Einsatz modernster Technik definieren oder ganz widerlegen wollen. Sie nennen sich „Paranormale Forschungsgruppen“ (fast jedes Bundeslandes) oder über den großen Teich hinaus beispielsweise „The Atlantic Paranormal Society (TAPS)“ – welche auch weltweit durch teilweise gescriptete TV-Dokumentationen aus dem Pay- sowie Free-TV bekannt ist. Der Großteil dieser Gruppen hat den – so heißt es – wissenschaftlichen Anspruch, von vorneherein kritisch und sachlich ans Werk zu gehen. Die Forschergruppen werden in der Regel von Klienten beauftragt, bei denen es zu unerklärlichen „Vorfällen“ gekommen ist. Meist sind dies Schloss- oder Burgbesitzer, Gutsherren oder einfache Privatpersonen. Groß ist die Enttäuschung aber auch hier, wenn das geschilderte und als paranormal betitelte Grauen dann nicht eintrifft oder es einfache Erklärungen für die „ermittelten“ Vorfälle gibt.

Erschreckend aber ist die Tatsache, wie schnell sich leichtgläubige Menschen an der Nase herumführen lassen und jeder, wirklich jeder Geschichte nachgehen wollen – egal wie unsinnig diese auch klingt. Hinzu kommt, dass jene diese Geschichten dann munter streuen, verfälschen oder erweitern und so ihre ganz eigene Version schaffen. Leiden müssen darunter in erster Linie die verlassenen Gebäude, die so schon ein schweres Schicksal zu tragen haben. Hinzu kommen die genervten Anwohner, die sich über die nächtlichen Gruppen beschweren und sich zu Recht in ihrer Ruhe gestört fühlen.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann „forschen“ sie noch heute! (aw)