Es ist Halloween – Von Corinna Annemarie Bergmann

Foto: pixelio.de/meltis

Die Nacht der Nächte ist gekommen: Halloween. Verkleidete Kinder ziehen durch den Ort, um ihre Säckchen mit Süßigkeiten füllen zu lassen. Ein Skelett, ein Vampir, ein Werwolf und ein Gespenst treffen aufeinander und beschließen spontan, gemeinsam etwas zu unternehmen. Sagt der Vampir: „Was wollen wir tun?“ Antwortet das Gespenst: „Ich kenne ein verfallenes Haus am Ende des Ortes. Dort lässt es sich herrlich spielen.“

Sagt der Werwolf: „Du Langweiler. Wir wollen etwas Richtiges erleben.“ Meint das Skelett: „Genau! Lasst uns doch ein paar Besuche machen!“ Rufen die anderen: „Ja! Ja!“ Nur das Gespenst sagt nichts dazu und trottet hinter den anderen her.

Sie läuten an einer Tür. Eine Frau mittleren Alters öffnet und ruft: „Ah! Süßes oder Saures, nicht wahr?“ Sie zwinkert ihnen schelmisch zu und holt eine große Schüssel mit Süßigkeiten.

Sagt das Skelett: „Werte Dame, Sie wollen uns wohl veräppeln!“ Und ehe die Frau es sich versieht, schwingt das Skelett seine Sense und eins, zwei, drei – schon ist der Frauenkopf entzwei!

Sagt der Werwolf: „Gut gemacht. Jetzt bin ich an der Reihe.“ Antwortet das Gespenst: „Das solltet ihr nicht tun.“

Rufen die anderen: „Halt die Klappe, Bleichgesicht.“

Sie läuten an der nächsten Tür. Ein älterer Mann öffnet und ruft: „Muss das sein, ihr Bengel? Lasst mich in Frieden mit eurem Spukkram!“ Zischt der Vampir: „Den schnapp ich mir!“

Schreit der Werwolf: „Nein! Er gehört mir!“ Und ehe der Mann reagieren kann, hat ihn der Werwolf auch schon in sämtliche Einzelteile zerlegt und alles Fleisch vertilgt. Schmatzt der Werwolf: „Das war ja lecker!“ Sagt das Gespenst: „Das war nicht richtig von dir.“ Rufen die anderen: „Mach dich vom Gottesacker, du dämlicher Macker!“

Vor einem großen grünen Haus am Ende der Straße machen sie als nächstes halt. Das Licht geht an, ein Fenster wird geöffnet und ein junges Mädchen steckt den Kopf heraus. Sie lacht: „Oh! So viele gleich!“ Aber das arme Ding kommt gar nicht mehr dazu, Süßigkeiten zu holen, denn – hast du nicht gesehen – schlägt ihr der Vampir seine langen Eckzähne in den zarten Hals und saugt sich mit Blut voll, bis der junge Körper leblos zusammensackt.

Schwärmt der Vampir: „Ah, der süße Geschmack jungfräulichen Blutes! Was gibt es Besseres!“

Jammert das Gespenst: „Was habt ihr nur getan!?“ Rufen die anderen im Chor: „Du bist jetzt dran!“ Sagt das Gespenst, seine blicklosen Augenhöhlen auf die anderen drei gerichtet: „Schön, ihr habt es nicht anders gewollt.“ Und mit einem gewaltigen Satz hechtet es über den niedrigen Gartenzaun und rennt so schnell es kann im Zickzack durch die Straßen, reißt sich noch im Laufen das weiße Laken vom Körper, stolpert beinahe über das riesige Stück Stoff, das es achtlos auf dem Gehsteig liegen lässt, und kommt schließlich verschwitzt und keuchend zu Hause an. „Nie wieder!“, schnauft das Kind, als die Haustür hinter ihm ins Schloss fällt. „Nie wieder lasse ich mich mit echten Geistern ein!“

Corinna Annemarie Bergmann