Kotten „Auf der Wippen“

Nicht mehr viel ist zu erkennen von der einst so historischen Bedeutung des Kottens „Auf der Wippen“ im Waldgebiet. Während des Nazi-Regimes trafen sich hier Sozialdemokraten und Gegner des Regimes. Der Kotten war „Wallfahrtsort“ für alle, die in dieser Notzeit Hilfe benötigten – darunter Einheimische und Flüchtlinge. Ferdinand Rinke – ehemaliger und zukünfitger Bürgermeister der Gemeinde Senne II – war beim Einzug der Deutschen in Polen 1939 von seiner alten Wohnung beim Sägewerk Tellenbröker extra in den Waldkotten umgezogen, um unbeobachtet zu sein. Dies wurde zwingend notwendig, denn die eingeschworenen Regimegegner – die sich selbst „wasserdichte Freunde“ nannten, waren in der alten Unterkunft im Zentrum nicht mehr sicher.

Bei den Kommunalwahlen 1933 hatte Bürgermeister Reinke die Mehrheit bekommen, wurde aber von der NSDAP abgesetzt und saß wegen „Beleidigung der neuen Reichsregierung“ und „Hochverrats“ mehrere Wochen in Haft. Im Waldkotten dann hatten die Parteifreunde und Regimegegner ihre Ruhe, konnten sich ungestört austauschen und hörten verbotenerweise einen englischen Radiosender. Über diesen war man selbstverständlich auf dem aktuellen Stand des Kriegsgeschehens und erfuhr das, was der deutschen Bevölkerung verschwiegen oder geschönt übermittelt wurde. Große Gefahr gab es vom „spitzelnden“ Nachbarn, einem Förster, der nur dank einiger Sicherheitsvorkehrungen die „wasserdichten Freunde“ niemals überführen konnte.

Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur spielte der Waldkotten weiter eine entscheidende Rolle. Die „wasserdichten Freunde“ trafen sich bei Kriegsende mit weiteren alten und neu geworbenen Sozialdemokraten im Gebäude um die erneute Gründung eines SPD-Ortsvereins und die Besetzung des neuen Gemeinderates vorzubereiten und zu planen. Von 1945 bis 1946 diente das Gebäude als provisorisches Gemeindeamt der Senne II. So wurden in diesem Gebäude Kriegs-Heimkehrer und -Flüchtlinge, Evakuierte und hilfsbedürftige Einheimische empfangen.

Quelle: privat

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Dokument erstellt am 29.04.2014
Letzte Änderung am 29.04.2014

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.