Zeitzer Drahtseilbahnen

In den 1870er Jahren endstand in Zeitz aufgrund von Platzmangel die Oberstadt, in der sich zahlreiche Industrielle ansiedelten. Zwar wurde die Straße zwischen Ober- und Unterstadt ausgebaut, doch der Wendische Berg machte Pferden und Fuhrwerken immer größere Probleme. Der Inhaber eines eigenen Baugeschäftes und Bahnmeister der Thüringischen Eisenbahngesellschaft Johann Tretrop realisierte die Idee, beide Stadtteile miteinander zu verbinden – sodass ab 1877 anhand des Vorbilds von fünf bereits in Europa existierenden Standseilbahnen die „Drahtseil-Eisenbahn-Zeitz“ errichtet und in Betrieb genommen wurde. Über eine Länge vom 305 Metern wurde eine Höhendifferenz von 46 Metern überwunden.

Die Talstation der Bahn befand sich unmittelbar am „Gasthaus zur Sonne“ und die Bergstation am „Wendischen Tor“. Der Antrieb der Bahn erfolgte über eine stationäre Dampfmaschine in der Bergstation. Die eingesezten Seilbahnwagen waren offen und nur seitlich durch Geländer versehen, an denen sich klappbare Sitze für die Fahrgäste befanden. Berg- und Talstation besaßen eine Kopframpe sowie drei Bremssysteme. Neben der Automatikbremse bei Seilriss – hier konnte eine Sperrung des Zahnkranzes des oberen Radsatzes ausgeführt werden – und eine Handbremse des unteren Radsatzes gab es auch eine Hemmstütze gegen unbeabsichtigtes Zurückrollen. Diese Hemmbremse funktionierte jedoch nur bei stehendem Wagen.

Über die Jahre des Betriebes kam es gleich zu mehreren, folgenschweren Unfällen. 1885 löste sich ein Seilbahnwagen – beladen mit einem Fuhrgestell – aus der Bergstation und raste ungebremst ins Tal. Während sich der Schaffner durch einen Sprung vom Gefährt retten konnte, schliff der Wagen die Pferde hinter sich her und begrub in der Talstation ein Dienstmädchen unter sich. Ursache des Unglücks war ein Zugseilriss – das zur damaligen Zeit lediglich aus Eisendrähten und nicht aus Stahl hergestellt war. Wenige Jahre später wurde ein Wagen in der Talstation zertrümmert, der mit voller Wucht an die Kopframpe prallte. Kurz danach entgleiste ein Wagen, da sich die Schienen von den verfaulten Schwellen gelöst hatten. 1889 explodierte ein Dampfkessel im Maschinenhaus, dabei wurde ein Heizer so schwer verletzt, dass er an den Folgen starb. Bis in die 1950er Jahre kam es dann zu keinen weiteren, nennenswerten Vorfällen.

1951 erfasste die Radnabe eines abfahrenden Fuhrwerks bei der Abfahrt einen 12-jährigen Jungen – der auf dem Klappsitz verweilte anstatt aufzustehen – am Knie und zerquetschte diesen so schwer, das selbiger daran verstarb. Im selben Jahr brachte eine Zugmaschine einen talwärts, parallel fahrenden Seilbahnwagen zur Entgleisung, als diese ins schleudern geriet. Planungen, die Bahn zu erneuern, schlugen fehl. Erst 1954, nach der Übernahme der Bahn durch die Stadt Zeitz wurden neue Gleise installiert und neue Seilbahnwagen angeschafft. Da bei der Modernisierung allerdings die völlig unzureichenden Sicherheitseinrichtungen belassen wurden – eine Modernisierung eine völlige Neukonzeption und den Neubau der gesamten Anlage zur Folge gehabt hätten, legte man die Bahn 1959 still und demontierte diese bis 1960. Heute ist nur noch die Ruine der Bergstation vorhanden. Die Zeitzer Drahtseilbahn gilt noch heute als erste Standseilbahn Deutschlands.

Quelle: bergbahngeschichte.de, Stadtarchiv Zeitz

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Dokument erstellt am 27.03.2014
Letzte Änderung am 27.03.2014

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.