Nachgefragt bei: Agnes Hörter

Agnes Hörter. Foto: Agnes Hörter

Agnes Hörter lebt in Augsburg und arbeitet als Produktdesignerin. Ihre große Leidenschaft ist die Lost-Places-Fotografie. Die Augsburgerin fasziniert der Kontrast zwischen Schönheit, natürlichem Verfall und Zerstörung. Die Vielzahl an Motiven, die Hörter in den vergangenen Jahren gesammelt hat, sollten nicht nur einfach auf der Festplatte verstauben. Geplant war ein privates Fotobuch, doch das Interesse daran war so groß, dass sich Hörter dazu entschloss, ein eigenes Buch im Selbstverlag zu erstellen. Während der Sichtung der Motive wurde ihr klar, dass ein Buch nicht ausreichen würde, um die Vielfalt der verlassenen Orte abzubilden. Somit entschied sich die Hobbyfotografin für die Aufteilung in verschieden Themen. Der erste Bildband ist fertig und trägt den Titel „Vergessene Welten – Produktion eingestellt“. Wir haben nachgefragt …

rottenplaces: Woher kommt Ihre Leidenschaft für verlassene Orte und Plätze?

Hörter: Verlassene und verfallene Gebäude haben mich schon seit meiner Jugend fasziniert. Ich mag Dinge die anders sind, die sich verändern. Fotografiert habe ich auch schon immer gerne und irgendwann kam eins zum anderen und ich habe beide Vorlieben mit einander vereint.

rottenplaces: Was fasziniert Sie besonders an der Lost-Place-Fotografie?

Hörter: Es ist der Kontrast zwischen Schönheit, natürlichem Verfall und Zerstörung der mich fasziniert. Magische Orte an denen die Zeit still zu stehen scheint. Eine Zeitreise in die Vergangenheit. Das Morbide, der Verfall begegnet uns überall, wir müssen nur genau hinsehen. Diese Bilder konfrontieren uns mit Schicksalen und Geschichten und zeigen uns unsere Vergangenheit. Für einige Gebäude ist diese Geschichte noch nicht zu Ende. Sie sind Industriedenkmäler und bleiben erhalten, oder werden wieder hergerichtet und neues Leben zieht ein. Viele von ihnen bleiben jedoch stumme Zeugen längst vergangener Zeiten.

rottenplaces: Wie wählen Sie die Orte aus, die Sie besuchen? Und welche Kenntnisse haben Sie im Vorfeld über selbige?

Hörter: Das ist recht unterschiedlich. Zu einem gibt es Orte von denen man zufällig gelesen hat oder die man im Fernsehen gesehen hat. Sogenannte „Lost Places“ werden gerne als Kulissen für Filme verwendet. Hier versuche ich durch Recherche herauszubekommen wo dieser Ort ist und was es einmal war. Dann wird eine Tour geplant, alleine oder mit guten Freunden. Im Zuge dessen sehe ich mir die Route und die Umgebung an und schaue, ob ich noch weitere Orte finde. Irgendetwas findet sich immer. Da ich in der Regel nie weiß, was mich dann vor Ort erwartet habe ich auf einer Tour immer mehrere Adressen.

Oft steht man vor verschlossenen Türen, das Gebäude wurde abgerissen oder ist nur noch eine Ruine, dann fährt man halt zur nächsten Adresse. Auf diesem Weg finde ich so manchen „Schatz“ den ich, wenn es zeitlich möglich ist sofort erkunde, oder mir für einen zweiten Besuch aufhebe. Interessante Objekte muss ich einfach sofort fotografieren, denn man weiß nie, ob es diesen Ort später noch gibt. Viele Gebäude werden leider durch Brandstiftung und Vandalismus zerstört. Man kann bei jeder Fahrt, jedem Ausflug oder Besuch bei Bekannten etwas entdecken. Zu guter Letzt gibt es dann noch die Tipps von Bekannten und Freunden, nach dem Motto: Da musst du mal vorbei schauen, das könnte dich interessieren.

rottenplaces: Welche Orte oder Plätze haben sich bei Ihnen besonders eingeprägt?

Hörter: Grundsätzlich ist jeder Ausflug in die Vergangenheit ein Abenteuer. Am spannendsten sind die Gebäude, die man spontan entdeckt, von denen man zunächst nichts weiß. Die Recherche zur Geschichte des Ortes im Anschluss gehört dann natürlich dazu und ist manchmal gar nicht so einfach. Komplett unberührte Orte, ohne Vandalismus aber mit deutlichen Spuren des Verfalls sind auch ein besonderes Erlebnis, weil sie recht selten sind.

rottenplaces: Ihren aktuellen Bildband „Vergessene Welten – Produktion eingestellt“ haben Sie im Selbstverlag realisiert. Warum?

Hörter: Ursprünglich hatte ich nur ein kleines Fotobuch für mich geplant. Ich mag es nicht, wenn die Fotos als Dateileichen auf der Festplatte vergammeln. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Interesse an diesen Fotos und den Geschichten dazu besteht. Da ich auch gerne gestalte und Geschichten schreibe habe ich habe ich beschlossen, ein richtiges Buch daraus zu machen. Bereits während der Sichtung der Motive wurde mir klar, dass ein Buch nicht ausreicht, um die Vielfalt der Orte abzubilden. Auf meinen Streifzügen sehe und fotografiere ich neben alten Fabriken auch viele andere Objekte wie Hotels, Kliniken oder Freizeiteinrichtungen. Daher habe ich mich für die Aufteilung in verschieden Themen entschieden.

rottenplaces: Nach welchen Kriterien haben Sie die veröffentlichten Objekte für Ihren Bildband ausgewählt?

Hörter: Der erste Band widmet sich verlassenen Fabriken und Industrieanlagen. Die Auswahl war schwierig, da es eine Vielzahl verlassener Fabriken gibt. Ich habe mir die aus meiner Sicht interessantesten herausgesucht. Dabei handelt es sich um Fabriken die eine besondere Historie aufweisen, spannende Motive bieten oder auf Grund ihres guten Erhaltungszustandes faszinieren. Gerade die Fabriken aus der Zeit der Industrialisierung finde ich besonders toll. Zu einem weil sie eine wunderschöne Architektur haben, zum anderen, weil dort Industriegeschichte geschrieben wurde. In solchen alten Fabriken bin ich oft stundenlang unterwegs und mache hunderte Fotos, weil sich mir eine Fülle von Motiven bietet.

rottenplaces: Ihre Motive vermitteln häufig einen düsteren, diffusen Einblick. Nutzen Sie Filter oder entsprechende Fototechniken?

Hörter: Ich möchte die Menschen auf eine spannende Reise in vergessene Welten mitnehmen. Dabei ist mir wichtig, dass die Fotos die Stimmung vor Ort möglichst exakt wiedergeben. Diese Orte sind in der Regel düster und trist, selbst wenn draußen schönstes Wetter ist. Man geht durch ein Tor und findet sich in einer anderen Welt wieder: Es ist dunkel, man riecht Öl und Metall. Ich sehe vor mir wie Menschen hier dicht gedrängt für wenig Geld geschuftet haben. In der Hitze der dampfenden Kessel wurden nasse, schwere Lederhäute von einem Zuber zum nächsten gehievt. 12 Stunden oder mehr am Tag, mit wenig Möglichkeiten sich zu erholen. Kinder gingen selten zur Schule, sie haben in dunklen Räumen stundenlang einfache, oft aber auch gefährliche Arbeiten verrichtet. Die Geschichten dieser Fabriken sind oft traurig: Sie zeugen vom Aufstieg und Niedergang ganzer Industriezweige, von der Not der Angestellten, die von heute auf morgen entlassen wurden und um ihre Existenz bangten und Gebäuden, die nutzlos geworden sind und langsam verfallen.

Die Bearbeitung der Bilder soll diese Stimmung transportieren. Hierzu werden Kontraste und Schatten betont wodurch Strukturen wie Risse, abgeplatzte Farbe und Schmutz stärker hervortreten und dadurch diesen düsteren Charakter unterstreichen. Natürlich könnte ich eine dunkle Fabrikhalle auch hell ausleuchten und ihr mit warmen Farben einen angenehmen Touch verleihen, dies würde aber den Eindruck vor Ort komplett verfälschen.

rottenplaces: Wie ist die Resonanz auf Ihren Bildband bisher?

Hörter: Die Hälfte der Bücher ist bereits verkauft. Das Feedback ist sehr positiv. Es freut mich, wenn die Leute mir schreiben, dass ihnen die Fotos und Geschichten gefallen. Dann hat das Buch seinen Zweck erfüllt.

rottenplaces: Wie können Interessierte Ihren Bildband erwerben?

Hörter: Da es nicht im Buchhandel erhältlich ist, kann man es nur direkt bei mir bestellen. Es kostet 43,80 Euro inklusive Versand und ist auf 100 Stück limitiert. Wer eines möchte kann mir gerne eine E-mail schreiben: eisteee2000@yahoo.de. Im Betreff bitte „Bestellung Bildband Vergessene Welten“ eintragen.

rottenplaces: Was für ein Bildband ist als nächstes geplant?

Hörter: In Band 2 wird es sich wahrscheinlich um verlassene Freizeitparadiese handeln. Wann ein Buch für den Druck fertig ist hängt maßgeblich davon ab, was ich so auf meinen Fototouren entdecke und was ich davon den Lesern zeigen möchte. Es gibt so viele tolle Orte an denen ich noch nicht war und man entdeckt ständig neues. Hinzu kommt, dass ich das nächste Buch erst drucken lassen kann, wenn Band 1 verkauft ist. Was nach Abzug der Produktionskosten von Band 1 übrig bleibt, wird für die Finanzierung des nächsten Buches benötigt, da ich ja alles in Eigenregie mache.

Wir danken Agnes Hörter für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz.

Aktueller BIldband. Foto: Agnes Hörter

Agnes Hörter
Vergessene Welten – Produktion eingestellt
164 Seiten, Hardcover, hochwertiger Einband
über 200 farbige Fotos
Jedes Buch nummeriert und signiert
Auflage: 100 Stück
Herausgeber: jpw.buchkunst
38,90 Euro; Versand 4,90 Euro

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.