Henrichshütte Hattingen

Die Henrichshütte ist ein ehemaliges Hüttenwerk in Hattingen und wird heute als Museum betrieben. Gegründet wurde die Henrichshütte 1854. Ihren Namen erhielt sie auf Anregung des ersten Hüttendirektors Carl Roth nach dem Grafen Henrich zu Stolberg-Wernigerode (1772-1854). Sie war eines der traditionsreichsten Hüttenwerke des Ruhrgebietes, bekannt für ihren Edelstahl. Trotz wechselnder Eigentumsverhältnisse (1904-1930 Henschel & Sohn,1930 bis 1963 Ruhrstahl, 1963 bis 1974 Rheinstahl, ab 1974 Thyssen AG usw.) blieb der Name Henrichshütte stets bestehen. Beginnend im Jahre 1987 wurde die Henrichshütte stillgelegt (1987 Hochofen 3 und Walzwerk, 1993 Stahlwerk, 2003 Schmiede).

Die Henrichshütte wurde am 13. Oktober 1854 durch das königliche Oberbergamt zu Dortmund konzessioniert. Beantragt hatte die Konzession der Hüttenmeister Carl Roth, der im Auftrag seines Arbeitgebers, des Grafen Henrich zu Stollberg-Wernigerode handelte. Der Graf besaß zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Hüttenwerke im Harz, deren Betrieb aber wegen der zu Ende gehenden Rohstoffe nicht mehr rentabel war. Hinzu kam die Einführung des koksbefeuerten Hochofens – eine Technik, die in England entwickelt worden und den bis dahin üblichen, mit Holzkohle befeuerten Hochöfen weit überlegen war – auf dem Kontinent. Die Holzkohle-Hochöfen des Grafen waren aus diesem Grund nicht mehr konkurrenzfähig. Da die Steinkohle zu einem wesentlichen Rohstoff geworden war, konnte das Ruhrgebiet seine Position als für Hüttengründungen bevorzugte Region, da dort sowohl Eisenerz, als auch hochwertige Fettkohle zur Koksproduktion vorhanden waren, weiter ausbauen. Im Jahr 1852 reiste Carl Roth im Auftrag des Grafen an die Ruhr, um nach einem geeigneten Standort für die Neugründung eines Hüttenwerkes zu suchen. Diesen fand er im Bereich der Gemeinden Welper und Winz, die heute Stadtteile von Hattingen sind. Dort erwarb er das Rittergut „Haus Bruch“, dessen Ländereien groß genug für die projektierte Anlage waren.

Außerdem kaufte Carl Roth Eisensteinfelder in der Gegend von Witten und Steele, die Kuxenmehrheit an der Zeche Karl Friedrich Erbstollen sowie Anteile an einigen weiteren Zechen. Damit war die Rohstoffversorgung der Hütte gesichert. Am 20. März 1854 wurde der Grundstein für die Hochofenfundamente gelegt und der Hütte der Name „Henrichshütte“ gegeben, den Karl Roth als Erinnerung an den bereits im Februar 1854 verstorbenen Grafen Henrich vorgeschlagen hatte. Ein weiterer Grund sprach für diesen Namen, da man so deutlich machen konnte, dass die Henrichshütte kein „Aktienwerk“ war, wie Carl Roth es nannte, sondern allein dem regierenden Grafen zu Stollberg-Wernigerode gehörte. 1855 wurde der erste Hochofen angeblasen, 1856 ein zweiter. Dieser erste Hochofen galt mit einer Tagesleistung von 25 t Roheisen als der leistungsstärkste des damaligen Ruhrgebiets. Da aber die ursprünglich geplanten Investitionen während der ersten Bauphasen bereits deutlich überschritten worden waren, ließ die Rentabilität der neuen Anlage zu wünschen übrig. 1857 wurde die Henrichshütte daher an ein Berliner Bankenkonsortium, die „Berliner Disconto-Gesellschaft“, unter der Leitung von David Hansemann verkauft.

Unter der Führung der Disconto-Gesellschaft wurden in den Jahren 1859 und 1860 zwei weitere Hochöfen angeblasen. Die „Dortmunder Union“, zu welcher die Henrichshütte nach einem erneuten Verkauf im Jahr 1874 gehörte, ließ 1885 einen neuen Hochofen anblasen, für den zwei der älteren abgerissen worden waren, der aber eine erneute Leistungssteigerung ermöglichte. Dieser Ofen wurde allerdings im Jahr 1900 durch eine Explosion, bei der mehrere Arbeiter ums Leben kamen, völlig zerstört. Der Grund für dieses Unglück kann heute nicht mehr ermittelt werden. 1904 wechselte die Henrichshütte erneut den Besitzer und gehörte von da an zum Lokomotivbauimperium des Kasseler Unternehmens Henschel & Sohn. Der neue Besitzer begann damit, die Produktionsanlagen der Hütte von Grund auf zu modernisieren. Dazu zählte auch der Neubau von zwei Hochöfen, die 1906 und 1913 angeblasen wurden und zu den modernsten Anlagen ihrer Art zählten. Die Leistung der Aggregate lag bei 250-350 t Roheisen pro Tag.

Im Jahr 1939 – die Hütte gehörte seit 1930 zur Ruhrstahlgruppe – wurde ein weiterer Hochofen gebaut, da der Roheisenbedarf der Rüstungsproduktion auf der Henrichshütte mit den vorhandenen Öfen nicht mehr gedeckt werden konnte. 1940 war dieser Ofen betriebsbereit und mit einer Tagesleistung von 800 t Roheisen doppelt so leistungsfähig wie die beiden anderen Öfen. Dieser Hochofen ist es auch, der bis heute als „Hochofen 3“ der Henrichshütte im dortigen Industriemuseum erhalten ist. Nach dem Krieg, der das Werk erheblich in Mitleidenschaft zog, und nach der Zeit der Demontagen wurde die Ruhrstahl AG im November 1951 neu gegründet, die allerdings nur noch Hattingen, Annen und Brackwede umschloss. Im September 1956 erwarb Rheinstahl die überwiegende Aktienmehrheit.

1963 erfolgte die Zusammenfassung der ehemaligen Ruhrstahlbetriebe (ohne Edelwitten und Gelsenguss) mit der Friedrich-Wilhelms-Hütte in Mülheim und Meiderich sowie mit dem Schalker Verein in Gelsenkirchen zur „Rheinstahl Hüttenwerke AG“. Mit dem Neubau eines weiteren Hochofens, der die Nummer 2 erhielt, wurde die Leistungsfähigkeit der Hochofenanlage erneut gesteigert. Insgesamt konnte die Leistung beider Öfen durch mehrere Modernisierungen bis auf 2400 t pro Tag und Ofen gesteigert werden. Am 1. Oktober 1974 wurde die Henrichshütte an die Thyssen-Gruppe verkauft und firmierte seitdem als „Thyssen Henrichshütte AG“, einer 100%igen Tochter der August-Thyssen-Hütte (ATH), welche sie ab 1984 sukzessive stilllegte. Nachdem 1987 zunächst der jüngere und am 18. Dezember auch der ältere der beiden Hochöfen ausgeblasen worden war, fand in Hattingen nach mehr als 130 Jahren keine Roheisenerzeugung mehr statt. Bis zur endgültigen Stilllegung erhielt die Henrichshütte ihr Roheisen aus dem Thyssen-Stahlwerk in Duisburg.

Die Henrichshütte hatte während ihres Bestehens mit zwei grundsätzlichen Problemen zu kämpfen: Zum einen war dies der begrenzte Raum, der ihr zwischen der Ruhr und dem Hattinger Ruhrhang zur Verfügung stand; größere Erweiterungen des Werks waren dadurch nicht möglich. Einzig in den 1950er Jahren wurde durch die Verlegung des Ruhrflussbettes ein größeres Stück zum Werksgelände hinzugefügt. Zum anderen war dies die schlechte Verkehrsanbindung, dabei vor allem das Fehlen eines schiffbaren Gewässers, weshalb die Rohstoffe nur auf dem Schienenweg nach Hattingen gelangen konnten. Dem setzte die Henrichshütte eine Spezialisierung auf die Herstellung von hochqualitativen Einzelstücken entgegen, was den Betrieb über viele Jahrzehnte rentabel hielt. So gehörten zunächst Dampfkessel, später dann Radsätze (auch für den ICE), Bauteile für Arianeraketen und Castorbehälter zur Produktpalette. Auch der Reaktordruckbehälter des ersten bundesdeutschen Kernkraftwerkes kam aus den Hallen der Henrichshütte. Wegen der hohen Qualität, die man dort erreichen konnte, wählte der amerikanische Künstler Richard Serra die Henrichshütte zur Produktionsstätte seiner zahlreichen Stahlplastiken.

Gegen erheblichen Widerstand wurde 1987 im Zuge des allmählichen Niedergangs der Kohle- und Schwerindustrie im Ruhrgebiet der letzte Hochofen der Henrichshütte stillgelegt. Der letzte Abstich fand am 18. Dezember 1987 statt. Der Hochofen II wurde nach China verkauft und 1990 demontiert. 1993 wurde das Stahlwerk geschlossen, die letzten 662 Arbeitsplätze gingen verloren. Der Neubau der heute nun völlig überdimensionierten „Kosterbrücke“ über die Ruhr 1979/1980, zur Verbesserung der Verkehrsanbindung, konnte die Schließung nicht verhindern. Für Hattingen war es eine große Aufgabe, diesen Strukturwandel zu vollbringen. Durch verminderte Kaufkraft und Abwanderungen aus der Stadt wurde dabei auch der Einzelhandel mit in die Krise gezogen. Über Umschulungsprogramme hinaus gab es auch soziale Programme: Seniorenstudiengänge in Dortmund und Bochum, eine Arbeitsgruppe zur Renovierung eines Segelschiffs, eine Zeitschrift (W.I.R. „Wir im Ruhestand“) und eine Trachtengruppe.

Auf dem Gelände stellte der Bildhauer Zbigniew Frączkiewicz 1996 seine Plastiken Menschen aus Eisen aus. Drei der Eisenmänner stehen nun vor der Stadtmauer Hattingens. Der Schmiedebetrieb der Henrichshütte nutzte nach der Stilllegung der Hütte noch zehn Jahre Teile des alten Stahlwerks mit einem LD-Konverter, zwei Elektrolichtbogenöfen und der mit 8.500 Tonnen größten Schmiede Europas. 2004 wurde auch dieser letzte aktive Teil der Henrichshütte geschlossen. Der Gasometer wurde bereits 1994 gesprengt. In den Außenanlagen wurden die schwermetallbelasteten Formsande mit Folien gegen Regenwasser geschützt und begrünt. Das 60 m hohe Gebäude des Blasstahlwerkes, ein Wahrzeichen der Stadt Hattingen, wurde am 23. Januar 2005 um 10.06 Uhr vor den Augen von 2.500 Zuschauern, darunter vielen ehemaligen Mitarbeitern, mit 40 kg Sprengstoff gesprengt. Aus Kostengründen war es nicht möglich gewesen, das Stahlwerk als Industriedenkmal zu erhalten. 2007 wurde noch ein Schornstein auf dem Hüttengelände gesprengt.

Bei Ausbauarbeiten des Gewerbeparkes auf dem ehemaligen Gelände der Henrichshütte zwischen Gebläsehalle und Satcom-Turm detonierte am 19. September 2008 bei Baggerarbeiten eine Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. 17 Verletzte (die meisten mit Knalltrauma) und Beschädigungen an den umliegenden Gebäuden, Arbeitsgeräten und Fahrzeugen waren die Folge. Heute ist das 70.000 m² große Gelände der Henrichshütte neben einigen neuen Gewerbeansiedlungen und neuen Parkflächen einer der acht Standorte des LWL-Industriemuseums und Teil der Route der Industriekultur.

Das ehemalige Bessemerstahlwerk wird für Veranstaltungen genutzt. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres 2010 wird der erhaltene Hochofenkomplex der Henrichshütte in unterschiedlichen Farben angestrahlt.

Quelle: Wikipedia

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Dokument erstellt am 07.01.2014
Letzte Änderung am 07.01.2014

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.