Nachgefragt bei: Christian Schmöger

Ehemalige Zentralverwaltung. Foto: Christian Schmöger

Der Kitzinger Architekt und Diplom-Ingenieur (TU) Christian Schmöger ist seit Kindheitstagen von verlassenen Orten begeistert. So zog es ihn bereits damals in verlassene Gutshöfe oder Scheunen, in Mühlen, Kirchen oder auf Schrottplätze. Später, durch Reisen in den ehemaligen Ostblock oder nach Detroit wuchs in Schmöger das Verlangen, die aufgegebenen Zeitzeugen fotografisch zu dokumentieren – zuerst analog, seit einigen Jahren auch digital. Schmöger stellte einige seiner fotografischen Impressionen im August dieses Jahres im Rahmen der Fotografie-Ausstellung urbEXPO in Bochum vor. Aktuell sind 40 seiner Werke rund um den Tag des offenen Denkmals in Schweinfurt zu sehen. Wir haben nachgefragt …

rottenplaces: Christian, wie bist du zur Fotografie gekommen?

Schmöger: Der Auslöser war mein Architekturstudium in Dresden. Da kam ich 1994 zum ersten Mal nach Dresden in eine so ganz andere Welt – damals standen ja noch das Schloß und dasTaschenbergpalais als ausgebrannte Ruine mitten in der Altstadt, die unzerstörten Gründerzeitviertel mit den erhaltenen, unsanierten Straßenzügen und der durchgängig düsteren „Farbigkeit“. Atmosphärisch sehr beeindruckend, und da kam natürlich der Wunsch, dies alles festzuhalten. Und natürlich das Architekturstudium selbst, denn was früher auf Studienreisen klassisch gezeichnet wurde, wird heute fotografiert.

rottenplaces: Spielte die Architektur bei dir schon in frühen Jahren eine Rolle?

Schmöger: Eigentlich keine übergeordnete Rolle, als Kind mit meiner Agfa Pocket habe ich oft Gebäude fotografiert, und wusste wahrscheinlich gar nicht, was Architektur so genau ist. Aber beeindruckt haben mich manche Gebäude schon damals.

rottenplaces: Was macht für dich den Reiz der Fotografie von verlassenen Orten aus?

Schmöger: In verlassenen Orten ist oft eine ganz besondere Atmosphäre spürbar – Allein in einem großen verlassenen Volksbad mitten in einer Großstadt, in die Stille der großen Hallen dringt noch leicht der Großstadtlärm, das ist ein emotional starkes Gefühl, das ich so nur in verlassenen Orten empfinde. Und diese Atmosphäre will ich auch, so gut es eben geht, in die Fotos bringen. Aber das ist nicht nur in Gebäuden so. 2014 war ich drei Tage auf einem – oder dem letzten großen Autofriedhof in Europa mitten in einem Wald. Da war die Atmosphäre vergleichbar. Dazu kommt als wichtiger Punkt, dass die Architektur in verlassenen Orten durch das Fehlen von Nutzer und Inventar direkt wahrnehmbar ist, ohne Ablenkung.

rottenplaces: Welche dieser Orte fotografierst du am liebsten und warum?

Schmöger: Da habe ich noch keine Vorlieben – solange mich ein Autofriedhof genauso beeindruckt wie ein Kraftwerk oder ein Schloss, fotografiere ich alle sehr gerne. Auf Sizilien habe ich auch das Thema Unvollendete Bauwerke entdeckt, auch sehr spannend. Das Thema ist einfach ungemein vielfältig, und spezialisieren will ich mich da nicht. Aber ich weiss, was ich am wenigsten gern fotografiere, und das ist das private Umfeld. Verlassene Wohnhäuser, die zudem noch voller Inventar und persönlicher Spuren sind, vermeide ich weitestgehend. Da hätte ich immer das Gefühl, die noch vorhandene Privatsphäre zu verletzen.

rottenplaces: Hat sich deine Art der Fotografie seit deinen Anfängen verändert?

Schmöger: Die Perspektiven haben sich geändert – durch einen jetzt tiefen Kamerastandspunkt versuche ich, die Architektur zu erhöhen und den Blickwinkel ungewohnter zu halten. Das kam aber auch daher, dass ich mich in verlassenen Orten oft erstmal auf den Boden setze, um das alles wirken zu lassen, und von weiter unten sieht es einfach auch interessant aus. Zudem versuche ich, dem Bild Tiefe zu geben. Die Verbindung von Flurfluchten und Treppenläufen führt über mehrere Wege aus dem Bild und soll so räumliche Tiefe vermitteln.

rottenplaces: Deine Schwerpunkte liegen in den Bereichen „Lost Places“ und Architektur. Gibt es dafür berufliche Gründe – oder auch andere?

Schmöger: Architekt ist so ein Beruf, das ist man dann immer, nicht nur von 9:00 bis 17:00 Uhr. Auch im täglichen Leben ist man ja umgeben von Architektur, und es macht mir immer Spaß, gute Architektur zu sehen, ob jetzt alt oder modern.

rottenplaces: Analog oder digital? Welche Technik bevorzugst du beim Fotografieren?

Schmöger: Eindeutig digital. Vom Workflow mit der digitalen Dunkelkammer einfach unschlagbar, von der Qualität auch. Die differenzierten Lichtverhältnisse in verlassenen Orten sind analog nicht zu meistern, wenn man einen dokumentarischen Anspruch hat – künstlerisch kann das durchaus anders sein. Dies sage ich aber mit Bedauern, da ich mir vor Jahren mit dem Preisgeld eines Architekturwettbewerbes eine analoge Leica M6 gegönnt habe, die jetzt im Schrank liegt – und es hat so viel Spaß gemacht, mit der Leica zu fotografieren, das ersetzt leider keine moderne DSLR.

rottenplaces: Wie stark bearbeitest du deine Bilder nach und womit?

Schmöger: Aktuell erstelle ich in der Regel aus einer Belichtungsreihe ein 32-bit Negativ und bearbeite das klassisch mit Höhen, Tiefen und Kontrasten, also sehr sparsam. Die Software von Sebastian Nibisz nutze ich teilweise auch ganz gerne, da diese sehr realistisch arbeitet.

rottenplaces: Entstehen deine Motive spontan oder gehst du mit gewissen Anforderungen ans Werk?

Schmöger: Die Motive selbst entstehen spontan beim Durchwandern des Gebäudes, da der reale Eindruck entscheidend ist, und nicht Fotos, die man im Vorfeld schon gesehen hat und dann im Gebäude sucht. Licht kann in einem Gebäude sehr wichtig sein, deshalb fotografiere ich gerne ganz früh oder spät, wenn die flache Sonne dann tief ins Gebäude scheint. Das ist aber dann ein positiver Nebeneffekt, da der Trip zu den meisten Orten aufgrund der langen Anfahrt schon frühzeitig geplant wird und man auf das Wetter dann keine Rücksicht mehr nehmen kann. Eine ganz klare Anforderung gibt es aber für mich: keine stürzende Linien!

rottenplaces: Was zeichnet Deiner Meinung nach ein besonderes Foto aus?

Schmöger: Ein besonderes Foto für mich ist eines, das man anschaut- und dann erstmal gar nicht wegsehen will, weil etwas an dem Foto fesselt. Ich denke, dafür gibt es kein Rezept, es ist einfach der Blick des Fotografen – und das Bild ist für denjenigen besonders, der genau das sieht, was auch der Fotograf gesehen hat.

rottenplaces: Du hast auf deinen Reisen ja schon viele verlassene Orte und Plätze kennengelernt. Welche sind bei dir besonders in Erinnerung geblieben?

Schmöger: Einmal dieser Autofriedhof in Schweden, den ich im November für drei Tage besucht habe. Die Stimmung, das Licht und die Stille zwischen den rostigen Wracks –dazu die neugierigen Eichhörnchen, die klackernd ständig zu mir runtergeklettert sind und mich beobachtet haben, das war unvergesslich und ich werde dies 2016 wiederholen. Und ich habe keine Sorge, keine neuen Motive zu finden. Dann hatte ich 2014 die Möglichkeit, als Auftragsarbeit zwei sehr große US-Kasernen – ehemalige Wehrmachts- und Luftwaffenkasernen – fotografisch zu dokumentieren. Diese waren noch unter der Verwaltung der US Army, aber schon geräumt und verlassen. Auch hier durchstreifte ich in den Herbstmonaten die riesigen menschenleeren Areale und Gebäude – zuvor absolute Sperrgebiete – mit einem Generalschlüssel für alle Gebäude. Die einzigen Lebewesen waren große Krähenkolonien, die sich in den Kaserne angesiedelt haben. Das Thema hier war nicht der Verfall, sondern die Leere und Abwesenheit. Auch diese Eindrücke bleiben unvergesslich.

rottenplaces: Wenn du dir aus Sicht des Architekten besondere Liegenschaften anschaust, die teilweise Jahrzehnte verfallen, was denkst du darüber und da muss doch oft der Planer mit dir durchgehen, oder?

Schmöger: Architekt ist man ja immer, und weiß daher auch, wieviel harte Planungsarbeit notwendig ist, bis überhaupt erstmal das erste Fundament eines Bauwerks gegossen wird. Wenn man dann durch die Heilstätten in Beelitz läuft, die ja einen sehr hohen architektonischen Anspruch haben und in großen Teilen über zwei Jahrzehnte zu erhabenen Ruinen verkommen sind, dann macht mich das als Architekt einfach fassungslos und zwingt mich fast, diesen Umstand zu dokumentieren.

rottenplaces: Was hast du zukünftig geplant, eine neue Ausstellung oder vielleicht doch etwas ganz anderes?

Schmöger: Seit dem Tag des offenen Denkmals (13. September) hat mir die Stadt Schweinfurt eine Ausstellung 40 meiner Werke ermöglicht. Ansonsten bleibe ich beim faszinierenden Thema „Verlassene Orte“, in welcher Form auch immer. Denn es ist und bleibt einfach spannend und schön.

Wir danken Christian Schmöger für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz.