Nachgefragt bei: Frank Grages

Der gebürtige Kieler und Wahl-Berliner Frank Grages hat nicht nur ein Auge für das Vergangene, er beherrscht auch die Fotografie in all seinen Facetten meisterhaft. Grages ist auch vom Virus der Beelitz-Heilstätten infiziert und hat mit seiner Webseite www.beelitz360.de ein nicht nur sehenswertes, sondern auch abwechslungsreiches Denkmal des historischen Sanatoriums-Komplexes geschaffen. Denn hier finden sich nicht nur statische Fotografien der Gebäude, wie sie zu Tausenden im World Wide Web zu finden sind, sondern mühevoll gestaltete Panaromaansichten und diese noch liebevoll aufbereitet.

rottenplaces: Frank, woher kommt die Faszination für die „urbane“ Fotografie im Allgemeinen?

Grages: Meiner Meinung nach ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Zum einen ist es ein Hauch von Abenteuer und der „Reiz des Verbotenen“ – selbst, wenn man mit Genehmigung ein Gelände betritt. Zum anderen bieten marode Objekte eine ungeheure Fülle an Details, Strukturen, Kontrasten und herausfordernden Lichtstimmungen. Nicht zuletzt weiß man nie, ob ein Gebäude beim nächsten Besuch noch steht oder man „auf den letzten Drücker“ noch ein Zeitdokument geschaffen hat.

rottenplaces: Du hast ja bereits mehrere verfallene Objekte wie beispielsweise das Kinderkrankenhaus Weißensee oder die Heilanstalt Uckermark usw. abgelichtet. Woher kommt aber die besondere Faszination gerade für die Beelitz-Heilstätten?

Grages: Nach meinem ersten Besuch habe ich im Internet recherchiert und einiges über die Geschichte der Heilstätten gelesen. Ich kann ganz passabel Sütterlin und deutsche Current lesen und komme daher auch mit alten Bauplänen einigermaßen zurecht. Die Größe des Geländes ist beeindruckend und die Vielzahl an aufstehenden Gebäuden mit teilweise gutem Erhaltungszustand bieten Motive für viele Besuche. Die Architektur ist wesentlich aufregender als jeder moderne Bau und die Gebäude sind im Gegensatz zu anderen Locations nicht völlig entkernt, sondern es finden sich noch Reste der ursprünglichen Einrichtung… die Heilstätten sind derartig überlaufen, da erzähle ich bestimmt kein Geheimnis…

rottenplaces: Neben deiner Vorliebe für Makro-, Landschafts- und Architekturfotografie hast du bei deinem Projekt beelitz360 bewusst die Panoramafotografie gewählt und das sehr ausführlich bis ins Detail. Was hat dich zu diesem momentan einzigartigen Schritt bewegt und wie ist die Resonanz auf die Webseite?

Grages: Auf die Idee bin ich gekommen, als mein Begleiter auf einer der ersten Touren nach Beelitz in einem der Häuser sagte „noch ein Winter mit strengem Frost, und dann kommt die Decke komplett runter.“ Dann kehrte ich nach ein paar Wochen zu einer Stelle zurück, die mir gut gefallen hatte und musste feststellen, dass ein Fenster, ein Schrank oder ein Waschbecken zerschlagen wurde. Kurze Zeit später hatte ich mir dann in den Kopf gesetzt, von den schönsten Stellen Panoramen zu fertigen, um wenigstens ein paar Räume für mich zu „konservieren“ und zumindest virtuell vor der Zerstörung zu retten. So hat sich das ganze zum Projekt beelitz360 entwickelt, das inzwischen einen recht beträchtlichen Umfang angenommen hat. Einer der Räume im ehemaligen „Blutlabor“ ist inzwischen derart zerstört worden, dass mein Panorama in der Form nicht noch einmal zu erstellen wäre. Interaktive Panoramen vermitteln durch die Möglichkeit, sich in alle Richtungen umzuschauen, intensivere Eindrücke von einem Raum, als es ein statisches Foto könnte. Die Resonanz ist bislang verhalten, aber durchweg positiv. Ab und an finde ich in den Logfiles mal Links zu Forenbeiträgen, wenn jemand die Seite gefunden hat und davon berichtet.

rottenplaces: Erinnerst du dich noch an dein erstes urbanes Objekt – welches war das – und wie war das Gefühl, ein solches zu erkunden?

Grages: Ich bin eigentlich schon immer gern in Ruinen „rumgekrochen“, das erste Mal halbherzig mit Fotoapparat 1999 in Schottland. Mein erstes „richtiges“ Objekt mit der Absicht, dort zu fotografieren, war die Chirurgie in Beelitz, irgendwann im August 2007. Das war unglaublich! Wir waren nun wirklich nicht allein in diesem Gebäude, es müssen mehrere Dutzend Leute drin gewesen sein. Trotzdem war es sehr spannend, die Gänge auf und ab zu gehen, hier eine Treppe rauf, dort eine Tür geöffnet und in den Raum gelinst… Einmal bin ich morgens allein in einem Gebäude unterwegs gewesen, der Wind fegte ein paar Blätter durch den Gang. Plötzlich kam mir aus einem Raum ein älterer Mann auf einem Klapprad entgegengeradelt – das war definitiv seltsam!

rottenplaces: Bei vielen Themen gehen die Meinungen auseinander. Welchen Fotografen man auch nimmt, der eine lichtet die Gebäude nur von außen ab, der andere legt Wert auf eine bunte Mischung zwischen Innen-, Außen und Makroaufnahmen und wieder andere dokumentieren fotografisch jeden Winkel und noch so kleinen Raum. Auf deiner Portfolio-Webseite gibt es auch eine „bunte“ Mischung an verfallenen Objekten. Wie ist deine bevorzugte Herangehensweise?

Grages: Es kommt immer darauf an. Ich habe mich eine ganze Weile mit Nachtfotografie beschäftigt, und daher liegen mir schwierige Lichtsituationen. Daher überwiegen bei meinen Touren eigentlich die Innenaufnahmen. Besonders spannend wird es dann, wenn es so dunkel ist, dass man nur durch Wedeln mit einer Taschenlampe überhaupt genug Licht für ein Bild zusammenbekommt. Bei den Innenaufnahmen mache ich viel Belichtungsreihen, die ich möglichst behutsam Tonemappe, damit der Effekt nicht zu stark aufträgt. Grundsätzlich schleppe ich keine Requisiten hin und her. Ich lasse die Gegenstände dort, wo ich sie vorfinde. Außenaufnahmen mache ich fast ein wenig stiefmütterlich mit.

rottenplaces: Seit 1998 fotografierst du ausschließlich digital. Welche Kamera(s) setzt du auf deinen Fototouren ein und was für ein Equipment wird von dir bevorzugt?

Grages: Im Augenblick habe ich zwei Bodies von Nikon im Einsatz, eine D700 und eine D200. Die D200 nutze ich fast ausschließlich nur noch für Panoramen. Hauptobjektiv für Innenräume ist ein Nikkor 14-24 mm 1:2.8, meist habe ich noch ein Nikkor 24-70 mm 1:2.8 dabei. Als Stativ verwende ich ein Manfrotto 055 mit wahlweise einem 3-Wege-Kopf oder dem Panokopf 303 SPH. Das ganze findet an und in einem Fotorucksack von ThinkTank Photo Platz. Ansonsten habe ich zumeist noch zwei Tachenlampen dabei, eine etwas dunklere LED-Lampe (die reflektiert nicht so stark beim Rumwedeln in gefliesten Räumen) und eine kleine, aber für meine Zwecke ausreichende Fenix LD20.

rottenplaces: Fotografen wie du sehen auf ihren Fototouren zu verfallenen Objekten viel Vandalismus und kriminelle Energie, die den Gebäuden arg zugerichtet hat. Teilweise sind solche, nicht nachvollziehbaren Entgleisungen der Grund für die Zerstörung und das Ende ganzer Objekte. Das Resultat sind komplexe Sicherheitsvorkehrungen der Eigentümer und harte Strafen für Fotografen, die ohne spezielle Genehmigung diese Objekte betreten. Wie ist deine Meinung zu diesem Thema?

Grages: Der Vandalismus und die daraus resultierenden Folgen sind das größte Problem und auch das größte Hindernis bei der Akzeptanz unseres gemeinsamen Hobbys. Aus Schutz vor Zerstörung und auch aus Gründen der Haftung bei Unfällen auf dem Gelände (Sicherungspflicht) sind die Maßnahmen der Eigentümer für mich nachvollziehbar, wenn auch ärgerlich: der Ehrliche ist dann oftmals der Dumme, weil draußen vor gelassen… Mein „Augenöffner“ war, als ich einmal beim Verlassen eines Gebäudes sozusagen mit dem einen Fuß noch auf dem Fensterbrett vom Verwalter erwischt worden bin. Das war ein sehr peinlicher Moment, aber nachdem ich freundlich gegrüßt habe und kurz erklärt habe, was ich auf dem Gelände mache, hat sich ein sehr konstruktives Gespräch entwickelt. Ich habe geschildert, was ich im Vorfeld alles angestellt hatte, um den Besitzer zu ermitteln (Kataster-/Liegenschaftsamt, Telefonat mit dem Rathaus des Ortes etc.) Das Ende war, dass ich die Mobilnummer des Verwalters bekommen habe mit der Bitte, das nächste Mal doch einfach rechtzeitig Bescheid zu sagen, falls ich nochmal kommen möchte. Seither bemühe ich mich im Vorfeld um Genehmigungen, wenn ich eine Tour plane.

rottenplaces: Du bist ja beruflich sehr eingespannt. Wenn du die Möglichkeit hättest, zu einer Tour deiner Wahl aufzubrechen, gibt es eine Location – wo auch immer – die du gerne einmal aufsuchen würdest?

Grages: Oh, da gibt es einige. Eine verlassene Irrenanstalt (so sagte man damals) in Belgien, die aufgegebene russische Minenarbeitersiedlung auf Spitzbergen und natürlich das „bisher unentdeckte Objekt mitten in einem Wald, wo man sich den Weg zum Eingang mit dem Messer freischneiden muss und wo in den letzten Jahrzehnten keine Menschenseele gewesen ist“ – das ist dann meist der Moment, in dem ich aufwache 😉

rottenplaces: Was würdest du Einsteigern, die auch ernsthaft in die Materie der „urbanen“ Fotografie einsteigen möchten, mit auf den Weg geben?

Grages: Zur rechtlichen Absicherung nach Möglichkeit immer Genehmigungen einholen. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber meine Beobachtungen bei diversen Touren haben mich manches Mal erstaunt. Daher: Unbekannte Gebäude niemals allein betreten: Handyempfang für Hilferufe bei Unfällen ist in vielen Gebäuden eher die Ausnahme als die Regel. Immer ein Auge auf die Umgebung haben: Löcher im Boden, Geröll oder herabfallende Glasscherben bergen ein enormes Verletzungsrisiko. Unbedingt auf stabiles Schuhwerk achten. Informiere immer einen Außenstehenden über dein Tourenziel und die voraussichtliche Dauer des Aufenthaltes.

Speziell zur Fotografie kann ich nur empfehlen, sich im Vorfeld einer Tour schon mal mit den Grundlagen der Fotografie bei schlechten oder stark schwankenden Lichtverhältnissen zu beschäftigen. Stichworte: Rauschverminderung, Langzeitbelichtung, Belichtungsreihen, HDR/DRI, Tonemapping. Üben kann man die Techniken auch an einem trübtassigen Winterabend in der eigenen Wohnung. Dann muss man vor Ort, wenn man eh schon vor lauter Entdeckerdrang aufgeregt ist, nicht lange herumraten und ist am Ende nicht maßlos enttäuscht von den Resultaten und muss unter Umständen noch einmal eine längere Anreise in Kauf nehmen. Habe ich schon erwähnt, dass man niemals genug Speicherkarten und geladene (vorher prüfen!) Akkus dabeihaben kann? Wenn es irgend machbar ist, die Kamera auf dem Stativkopf so befestigen, dass ein Akkuwechsel möglich ist, ohne die Kamera vom Stativ zu nehmen. Ich musste mal bei einem Panorama mit über 220 Einzelbildern einen Akku wechseln, nachdem ich bereits 45 Minuten fotografiert hatte und nur noch 12 Bilder zum fertigen Panorama gefehlt haben. Wenn ich da die Kamera hätte abnehmen müssen, hätte ich komplett von vorn beginnen müssen. So war es eine Sache von 30 Sekunden und das Pano war gerettet.

rottenplaces: Was gibt es demnächst von Frank Grages zu lesen, sehen oder hören, bzw. wie lauten deine Zukunftspläne?

Grages: Die Website beelitz360.de bekommt noch einmal 7 Panoramen vom restaurierten Kesselhaus, die ich mit freundlicher Genehmigung des Fördervereins anfertigen durfte, außerdem werde ich sukzessive ca. 120 Fotos aus den verschiedenen Gebäuden hochladen. Damit ist nach momentanem Stand das Projekt beendet, da der Eigentümer vorerst das Betreten des Geländes komplett untersagt hat (mit den bekannten Ausnahmen wie Führung über das Gelände und Vermietung von Zentralbadehaus und Männersanatorium für Fotoshootings). Außerdem verleidet mir die fortschreitende Zerstörung dort allmählich die Lust, mich für diese Frustmomente jedesmal eine Stunde in den Regionalexpress zu setzen.

In den nächsten Tagen kommt mein Kalender für 2011 mit Fotos aus der Antarktis aus der Druckerei, ich bin schon sehr gespannt auf das Resultat. Für 2012 würde ich gern mal einen schönen „Urbex“-Kalender in Angriff nehmen, aber da ist noch eine Menge Recherechearbeit vonnöten, weil ich hierfür Objekte haben möchte, die noch relativ frei von Vandalismus/Graffiti sind – für Tipps bin ich immer dankbar.

Wir danken Frank Grages für dieses Interview.

Das Interview führte André Winternitz

Vorheriger ArtikelMärchenwald Berlebeck
Nächster ArtikelWaldbad Heepen
André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.