Nachgefragt bei: Stefan Bircheneder

Der Regensburger Stefan Bircheneder (40) hat einen speziellen Blick auf die Welt – genauer auf besondere Plätze, dessen Existenz die Meisten oft nicht kennen, noch in ihrer ursprünglichen Form kennen wollen. Der gelernte Restaurator und Maler widmet sich seit 2013 hauptberuflich großformatigen, fotorealistischen Ölgemälden von Industrieruinen und verlassenen Orten aller Art. Seine Werke zeigen den Verfall auf eine wunderbare Art und Weise, fesseln den Betrachter und werten – so skurril das auch klingen mag – die vergessenen, verwilderten, heruntergekommenen und meistens aufgegebenen Orte mit künstlerischem Können auf. Die Motive, die dem Regensburger ins Auge fallen, werden in knalligen Farben montiert und entsprechend präsentiert.

Wer diverse, oft lieblos einander ähnelnde Fotografien von verlassenen Orten kennt und nach Neuem und Außergewöhnlichem sucht, wird Bircheneders Werke aufsaugen und schätzen. Denn diese Art seiner künstlerisch-malerischen Inszenierung ist rar und daher in jedem Fall sehenswert. Die Proportionen und Gestaltungsweisen seiner Kompositionen lassen sich lesen, wie Szenen in einem retrospektiven Roadmovie. Mal knallig oder schrill, dann dezent oder diffus – Bircheneder spannt bei seinem Kunststil einen roten Faden und lässt tief in seine Seele blicken, erzeugt einen magischen Realismus.

Seine Bildserie „Hafenfenster“ wandelt maritime Kulissen in wahre Sehenswürdigkeiten. Hafenszenen, wuchtige Kranformationen, Lagerhäuser – im Detail oder Panorama, am Tag oder bei Nacht, verdeutlichen zumindest beim Moment der Betrachtung noch echte Seefahrerromantik. Die Serie „Grenzgelb“ lässt sich künstlerisch lesen wie ein Buch. Gelbe Weg- und Positionsmarkierungen ziehen sich von Motiv zu Motiv – immer gestochen scharf auf durchdacht wechselnden Untergründen. Ob Toreinfahrt, Kopfsteinpflaster, Straßendetails, Materialfugen – aus Nahansichten werden weite Welten. Die gelben, korrekt gezogenen Markierungen verschmelzen mit den maroden Untergründen, auf denen sie gedruckt sind. Dass es sich bei allen Motiven um Querschnitte handelt, regt den Betrachter zu Gedankenspielen an.

Mit „Industrielandschaften“ macht Bircheneder mit Totalen auf das aufmerksam, was andere verdrängen. Ehemals strukturierte Betriebe, die heute verlassen sind und vergessen wirken, jahrelanger Verfall oder Vandalismus – viele Motive sind als Gemälde verewigt und animieren jeden, genauer hinzusehen. Staub, Moos, Rost und Müll findet sich in jeder Brache, im richtigen Blickwinkel und künstlerisch aufbereitet, werden diese Situationen zu Kunst. Ob ehemalige Werk- und Produktionsstätten, Maschinendetails, Gefahrenstellen, Hinweisschilder – Bircheneder hat die Gabe, scheinbar Unbedeutendes und Nebensächliches ins rechte Licht zu rücken. Durch seine Bildgestaltung und die knallige Farbgebung lebt Altes und Vergangenes neu auf und versprüht einen ganz eigenen Charme.

Seine Werke hat Bircheneder bereits in zahlreichen Ausstellungen gezeigt. 2011 wurde er in den Berufsverband Bildender Künstler aufgenommen. 2012 war er Finalist beim Kölner Blooom Award. 2013 folgte die Aufnahme in die Short-List der Ritter-Stiftung. Bircheneder ist mit dem Kunstpreis des Kunst- und Gewerbevereins Regensburg ausgezeichnet. In seiner Heimatstadt betreibt er auch sein Atelier. 2014 erscheint die Katalog-Box „Ausser Betrieb“ von Stefan Bircheneder mit 48 Werksabbildungen als Offset-Prints und 32 seitigem Begleitheft, in einer Auflage von 195 Stück, handbemalt, nummeriert und signiert (ISBN 978-3-00-045183-6). Die Katalog-Box präsentiert eine Werksauswahl von Arbeiten der Serien Hafenfenster, Industrielandschaften und Grenzgelb der Jahre 2009 – 2014. Komplettiert wird das Set mit Textbeiträgen von Stefan Bircheneder, Peter Lang, Dr. Reiner Meyer und Stephanie Zuber.

rottenplaces: Woher kommt die Idee und Leidenschaft, als Maler größtenteils fotorealistische Ölgemälde von Industrieruinen und verlassenen, maroden Orten anzufertigen?

Bircheneder: In meinem erlernten Beruf als Kirchenmaler und Restaurator war ich so von Engeln und barockem Glanz umgeben, dass ich privat einen Ausgleich dazu gesucht und gefunden habe.

rottenplaces: Wie lässt sich der Künstler Bircheneder inspirieren und wie wählt dieser seine Motive?

Bircheneder: Inspiration bekomme ich auf meinen „Industrie-Touren“. Statt klassischem Urlaub am Strand, fahre ich mehr oder weniger gezielt durch Deutschland und suche Industrieruinen. Von diesen Fahrten habe ich schon eine große Sammlung an Fotografien aufgebaut, aus deren Bestand ich mir dann thematisch passende Bilder aussuche. Meine aktuelle Ausstellung befasst sich überwiegend mit dem Thema Schalttafeln, Elektroinstallationen und Stromkästen. Die Ölbilder der Ausstellung sind sozusagen ein Querschnitt aus ganz Deutschland.

rottenplaces: Wie kann man sich das Vorgehen und die Arbeitsschritte vom entdeckten Motiv bis zum fertigen Kunstwerk im Atelier vorstellen?

Bircheneder: Zuerst mache ich natürlich vor Ort viele Fotografien. Um eine bestimmte Lichtstimmung oder technische Details festzuhalten. Im Atelier wird dann mitunter die Komposition verändert, oder das gesamte Bild bekommt eine Farbstimmung. Ich lege sozusagen vor dem reinen Malprozess fest, wie am Ende mein fertiges Bild aussehen soll. Dabei soll es keine rein dokumentarische Abbildung werden, vielmehr möchte ich das Entdeckergefühl an Nicht-Besucher weitergeben.

rottenplaces: Um ein Werk zu fertigen, benötigt es anfangs ein Lichtbild (Foto), am Ende steht das Gemälde. Muss man Ihre Werke nicht auch gleichzeitig als Fotokunst verstehen?

Bircheneder: Eher nein. Dadurch, dass manche Bilder erst Jahre nach den Fotos umgesetzt werden, sind sie emotional viel zu sehr gewachsen. Die Erinnerung an die Orte, die in mir dann wieder lebendig wird ist nach einem gewissen zeitlichen Abstand natürlich verändert und so also auch die Bedeutung.

rottenplaces: Sie haben als Künstler gewisse Botschaften, die Sie mit Ihren Werken immer wieder transportieren möchten. Welche?

Bircheneder: Die Menschen sollen mehr Beachtung finden für die Spuren unserer Industriekultur. Zum Einen die Ästhetik dieser Bauten, zum Anderen aber auch die persönlichen Schicksale die mit diesen Fabriken zusammenhängen. Meine Bilder sollen Menschen, die so einen Ort nie besucht haben, einen Einblick ermöglichen in das alltägliche Leben der Arbeiter.

rottenplaces: In Ihren Werken wird die schnelllebige Welt quasi eingefroren. Andererseits wird das Vergessene wieder aktuell. Würden Sie sich mit Ihren Werken als malender Realist oder als künstlerischer Rebell bezeichnen?

Bircheneder: Sowohl als auch. Künstlerischer Rebell: Ja, weil ich ein bisher in der Malerie unbeachtetes Sujet künstlerisch emporhebe. Malender Realist: Ja, weil ich sehr detailverliebt das Gefundene wiedergebe. Ein Kronkorken am Boden soll ruhig noch zu finden sein und dem Betrachter ein Gedankenspiel ermöglichen. War es ein letztes Feierabendbier oder doch nur das Bier eines Kupferdiebes?

rottenplaces: Kann man Ihre Arbeiten aktuell in einer Ausstellung sehen?

Bircheneder: Ich habe noch bis zum 02. November eine Einzelausstellung in der Galerie Halle II in Straubing/Niederbayern. Der Ausstellungsraum befindet sich in einem stillgelegten Schlachthof aus Backstein aus der Gründerzeit. Also ein sehr passendes Ambiente.

Mehr Informationen unter www.bircheneder.de

Wir danken Stefan Bircheneder für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz