Nachgefragt bei: Troy Paiva

Der Amerikaner Troy Paiva gilt als der Pionier der Nachtfotografie und des Lightpainting in Kombination mit verlassenen Orten – sogenannten Lost Places. Seit 1989 hat der Designer Hunderte Motive von Auto-, Flugzeug- und Schiffswracks, verlassenen Dörfern, Tankstellen, Gebäuden und Objekten – entsprechend illuminiert – bei Nacht gefertigt, mehrere Bücher herausgegeben, Workshops gegeben und war Juror in mehreren TV-Shows. Auf seiner Webseite „Lost America“ nimmt Paiva den Besucher mit in die teils surreale Welt des Verfalls, zeigt künstlerisch beeindruckende Motive und erzählt mit seinen fotografischen Werken Geschichten. Der in San Francisco lebende Paiva liebt die Zivilisationsflucht und ist auf seinen Touren größtenteils alleine unterwegs.

Auf der ehemaligen Route 66, ähnlichen Highways oder in den Regionen, in denen er auf Motivsuche ist, findet man nichts als scheinbar grenzenlose Weite und ab und an eine Hinterlassenschaft aus besseren Zeiten. Eintönig oder monoton möchte man meinen, doch weit gefehlt. Die Kulisse ist jedes Mal eine andere – jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr. Denn Paiva ist für jedes Bild seiner Leidenschaft nachts unterwegs – bei Vollmond. Nur dann – so sagt er – gelingen die perfekten Motive. Da der Mond und die Sterne ein natürliches Licht über seine Langzeitbelichtungen legen, werden die erfassten Motive am Boden mit entsprechenden Lichtquellen illuminiert. Das Ergebnis ist eine futuristische Kulisse, für wenige Minuten haucht Paiva den Objekten neues Leben ein. Erlischt das Licht, würden die zuvor farbenfrohen Szenerien wieder in Vergessenheit geraten – doch Paiva hat sie festgehalten, digital und für die Ewigkeit. Wir haben mit dem Künstler über sein Schaffen und seine Werke gesprochen.

rottenplaces: Welche Idee und welcher Hintergrund verbirgt sich hinter Lost America?

Paiva: Ich wurde 1960 geboren, bin seit vielen Jahren als Künstler aktiv und begeistere mich für alles Verfallene und Vergessene. Mitte der 80er-Jahre arbeitete ich als Designer bei Galoob Toys und entwickelte dort Autos, Tankstellen, Autowaschanlagen, Flughäfen usw. für die Serien der Firma Micro Machines. 1989 entdeckte ich durch meinen Bruder Tom das breite Spektrum der Nachtfotografie und probierte mich selbst fotografisch an den Orten, die ich besuchte. Mit der Fotografie hatte ich zuvor nichts am Hut, aber ich suchte eine Beschäftigung, ja einen Ausgleich zu meinem Job. Diesen fand ich in der Nachtfotografie. Ich kaufte mir eine gebrauchte 35mm-Kamera, machte mich bei Vollmond auf zur Route 66 und bekam schnell qualitativ gute Ergebnisse. An verlassenen Tankstellen fertigte ich achtminütige Belichtungsreihen. Heute 25 Jahre später bin ich nach wie vor unterwegs zu verlassenen Orten und Objekten – immer bei Vollmond.

rottenpalaces: Worin liegt die Faszination der Nachtfotografie in Verbindung mit verlassenen oder zurückgelassenen Fahrzeugen, Flugzeugen, Gebäuden, Dörfern usw.?

Paiva: Die Stille und gespenstische Stimmung der Orte passen perfekt zu den scheinbar unbegrenzten, visuellen Möglichkeiten der Technik. Ich bin fasziniert von den Orten, die früher Mal belebt waren und geschätzt wurden, heute aber trostlos und teilweise ausgeschlachtet sind. Diese ein letztes Mal mit Lichttechniken und der Kamera entsprechend in Szene zu setzen, ist die größte Leidenschaft. Diese Momente sind der tollste Teil in meinem Leben.

rottenplaces: Wer hat dich über die Jahre bei deiner Fotografie inspiriert?

Paiva: O. Winston Link, Richard Misrach, Bill Lesch, Chip Simons, aber auch Filmemacher und Cinesasten wie Welles, Kubrick, Roger Deakins usw. Natürlich war es auch die Bühnenbeleuchtung bei Rockkonzerten in den 70ern und meine Versuche mit früher 3D-Modellierungssoftware ab dem Jahr 2000, die mich beeinflussten.

rottenplaces: Viele Fotografen in Deutschland sagen, sie wären durch dich, deine Werke und auch die Bücher inspiriert worden. Was denkst du?

Paiva: Toll! Als ich vor Jahren mit der Nachtfotografie und Lichtmalerei begann, hätte ich mir nie erträumt einen weltweiten Kult zu starten – aber danach sieht es aus, ohne jetzt überheblich zu klingen. Es ist eine Ehre für mich solche Rückmeldungen und Aufmerksamkeiten zu bekommen. Ich wünsche jedem nur das Beste, habt Spaß und seit vorsichtig da draußen!

rottenplaces: Lightpainting und Lightart werden immer populärer. Wichtig sind Kreativität und Erfindergeist. Würdest du sagen, dass das Handwerk jeder erlernen kann, oder braucht es mehr dazu?

Paiva: Es gibt viele verschiedene Herangehensweisen und Möglichkeiten, die Lichtmalerei kennenzulernen und in diesem Genre zu experimentieren. Man weiß nie, was man Ihre Kreativität am besten gerecht wird, so versuchen sie alle. Wie bei den meisten künstlerischen Disziplinen ist es so, dass 75 Prozent des Handwerks jeder erlernen kann, aber die anderen 25 Prozent sind der Teil, der die Kreativität des Künstlers verrät – diese ist in den meisten Fällen angeboren oder einfach natürliches Geschick.

rottenplaces: Welches Equipment nutzt du und warum?

Paiva: Aktuell nutze ich eine Canon 60D, der drehbare LCD-Screen erlaubt mir wunderbare Motive, ohne durch den Sucher schauen zu müssen. Somit ist man wesentlich flexibler, um z.B. in Bodennähe oder unmittelbar am Objekt zu fotografieren. Häufig nutze ich ein Fisheye-Objektiv. Ich leide unter starkem Astigmatismus (Hornhautverkrümmung), so zeigen meine Motive oft die Welt, wie ich sie sehe! Natürlich setze ich auch die verschiedensten Lampen und Lichttechniken ein. Diese aber alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen.

rottenplaces: Wie wählst deine Motive und das zugehörige Equiment?

Paiva: Die Bilder, die aussehen, als wären sie mit kompletter Studiobeleuchtung entstanden, werden mit handelsüblichen Taschenlampen aus dem Baumarkt produziert. Die Wahl der Ausleuchtungsart und eingesetzter Lichtquellen entscheide ich vor Ort. Dafür gibt es vorher keinen expliziten Plan. Bei vielen Locations ist es so, dass ich möglichst schnell und leise sein muss und dementsprechend nur leicht bepackt unterwegs bin. Meine gesamte Ausrüstung passt in einen kleinen Rucksack, das Stativ mit Kamera habe ich griffbereit.

rottenplaces: Gibt es einen Ort an dem du gerne einmal fotografieren würdest? Welcher und Warum?

Paiva: Hunderte! Zu viele, um diese hier alle aufzuzählen. Mich reizt aber auch aber eine breite Palette an Orten und Gebäuden, angefangen bei kleinen verlassenen Häusern, über moderne, architektonisch gelungene Konstruktionen bis hin zum verlassenen Flughafen in Athen. Mehr als man besuchen kann.

rottenplaces: 2010 und 2011 warst du als Gastjuror in der Reality-TV-Show „The Big Shot“ zu Gast. Wie war diese Erfahrung für dich?

Paiva: Wie ein Wirbelwind! Achtzehn Stunden Flug, Jetlag, Nachtaufnahmen, einige Stunden mit Freunden, Aufzeichnung der Show und achtzehn Stunden Rückflug. Es waren drei schlaflose, surreale Tage. Aber es hat riesigen Spaß gemacht.

rottenplaces: Was hast du zukünftig geplant, gibt es einige Neuigkeiten?

Paiva: 2015 findet meine erste internationale High-End-Galerie-Show und Ausstellung in London statt. Die HEIST Galerie und ich suchen noch nach einem geeigneten Termin, wählen derzeit auch die Bilder aus. Es wird, das kann man schon sagen, eine einzigartige One-Man-Show mit sehr großen Drucken und Bildern. Ich bin wirklich gespannt!

Wir danken Troy Paiva für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz.

Foto: Troy Paiva; The Ink Mist Vortex – San Francisco Chronicle Printing Plant, Abandoned, Union City, California

Den gesamten Artikel finden Sie auch in der 8. Ausgabe des rottenplaces Magazins.

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.