Nachgefragt bei: Roman Zeschky

„Was wäre, wenn das Gestern auch heute noch zum Greifen nahe wäre? Was wäre, wenn nur der Erdboden zwischen Vergangenheit und Gegenwart läge“? Mit diesen Fragen macht der Dortmunder Roman Zeschky – den meisten wohl als Kenny Underworld City bekannt – den Betrachter mehr als nur neugierig, der sich auf der Webseite des 43-Jährigen umschaut. Denn die Welt in die Zeschky mitnimmt, ist alles andere als das, was so viele schon hundertfach fotografiert oder besichtigt haben, geschweige denn von deren Existenz sie wissen. Die Rede ist von unterirdischen Luftschutzstollen und Krankenhäusern, Atom- und OP-Bunkern, Produktionsanlagen (sogenannte U-Verlagerungen) und ehemaligen Luftschutzräumen für Arbeiter, Angestellte sowie die Bevölkerung. Denn die Vergangenheit ist gerade hier noch immer mehr als präsent.

Diese unterirdischen Welten verändern sich gleich einem lebendigen Organismus immer weiter und formen diese um in Naturhöhlen, Tropfsteingewölbe oder Urkathedralen. Hier offenbart sich Zeschky eine surreale Umgebung, geprägt aus Kalkablagerungen, chemischen Substanzen, Wassereinbrüchen oder naturellen Einflüssen. Denn die Natur zeigt hier immer wieder ihre schonungslose Macht – Wurzeln brechen Wände auf, Wasser spült in Rinnsalen das Gestein aus und verwandelt jeden von Menschenhand eingebrachten Gegenstand auf eine atemberaubende Art. Die Motive, die Zeschky bei seinen Touren unter die Erde erwarten, entschädigen für mühsame Einstiege und oftmals gefährliche Kletteraktionen – bei denen man nicht klaustrophobisch sein darf. Kalt, nass und stockdunkel ist es an diesen Orten, bis künstliches Licht die Umgebung erstrahlen lässt. Denn der Dortmunder leuchtet seine „Trophäen“ mit diversen professionellen, lichtstarken Taschenlampen und Hilfsmitteln aus.

Doch Zeschky ist nicht nur im Untergrund aktiv. Längst ziehen ihn auch die Zeitzeugen über der Erde an. Dabei ist es egal, ob diese in der Bundesrepublik, in Belgien, Luxemburg oder anderen europäischen Ländern zu finden sind und ob es sich um alte Herrenhäuser, Fabrikanlagen oder Sanatorien handelt – der Fotograf spürt sie auf und geht auf historische Fotosafari – wie ein Forscher. Seine Werke finden sich auf www.underworld-city.de . Wir haben nachgefragt …

rottenplaces: Wie bist du zur Lost-Place-Fotografie gekommen und seit wann betreibst du diese Leidenschaft?

Zeschky: Ich bin ein Kind des Ruhrpotts und habe den Strukturwandel von der Zechen- und Stahlkultur hin zum Dienstleistungsgewerbe bewusst mitbekommen. Damals, als die Stahlwerke und Zechen geschlossen wurden, waren es riesen Spielplätze für uns Kinder, die wir natürlich erkunden mussten. Das hat mich bis heute nicht los gelassen und ich habe immer mal einen Blick hinter den Zaun ehemaliger Zechen und Stahlwerke geschaut. Als dann die Digitalfotografie Einzug hielt, bin ich mit der Kamera los gezogen, um diese abzulichten. Ich fand es traurig, dass diese Orte geschlossen und abgerissen wurden. Für mich ist und war es bis heute etwas wie ein Identitätsraub. Das Ruhrgebiet ist ja bekannt für seine Zechen- und Stahlkultur, nur leider sieht man davon nicht mehr viel. Außer an den bekannten Plätzen wie zum Beispiel Zollverein, Landschaftspark oder Phönix West, die ja eher einen Museums- Charakter haben. Trotzdem wird über diese Zeit heute noch viel gesprochen und auswärtige Menschen verbinden mit Ruhrgebiet immer noch Kohle und Stahl.

Durch Zufall bin ich dann in den Untergrund gelandet und habe mich gewundert, dass es kaum Menschen gibt, die etwas darüber wissen, obwohl sie jeden Tag über diese Orte laufen. Diese Orte sind in Vergessenheit geraten und ich wollte diese mit meinen Bildern wieder an das Tageslicht holen.

rottenplaces: Gerade wenn du im Untergrund unterwegs bist, was fasziniert oder ergreift dich besonders und warum?

Zeschky: Das ist echt kurios. Der Mensch besitzt eigentlich eine Urangst vor der Dunkelheit und dem, was unter der Erde verborgen liegt. Trotzdem sind die Menschen neugierig und einige schauen halt mal nach. Die Welt dort unten ist eine ganz eigene, ruhige, schöne, bizarre, feuchte und auch kalte Welt. Gerade was die Natur dort unten erschafft, fasziniert mich. Sie wird nicht durch den Menschen gestört und kann eine wunderbare Welt erschaffen. Dabei rede ich jetzt nicht von Naturhöhlen, sonder von Menschenhand erschaffene Orte, wie zum Beispiel Bergwerksstollen, Bunkeranlagen oder U-Verlagerungen aus dem 2. Weltkrieg. Diese ins Licht zu rücken, fasziniert mich besonders.

Manchmal steh ich aber auch in solchen Anlagen und kann nicht begreifen, wie diese nur durch Menschenhand erschaffen wurden. Maschinen wie heute gab es ja damals nicht dafür. Man begreift, was für eine schwere körperliche Arbeit dahinter gesteckt hat um diese Orte zu erschaffen. Dazu kommen auch die traurigen Geschichten, die in diesen Orten stattgefunden haben. Gerade Bunker und U-Verlagerungen wurden ja von KZ Häftlingen und Zwangsarbeitern gebaut. Man kann sich sehr gut ein Bild davon machen, wie diese Menschen leiden mussten, unter welchen erbärmlichen Zuständen sie diese Orte erschaffen haben und auch zu Tausenden dort „verreckt“ sind.

rottenplaces: Besuchst du deine ausgewählten Fotoobjekte nur um sie zu erkunden und fotografisch „abzulichten“, oder steckt ein tieferer Gedanke dahinter?

Zeschky: Als erstes interessiert mich die Geschichte dahinter, dann kommt das Bild. Es ist wie ein Museumsbesuch, nur intensiver. Ein Museum ist „clean“ und aufgeräumt. Es kann nur einen Teil der Wirklichkeit darstellen, wobei ich Museen nicht schlecht machen möchte. Ich finde es gut, dass es Orte für die breite Masse gibt, um ihr zu zeigen, wie es war. Mir persönlich reicht das aber nicht. Ich will die Geschichte hinter diesen Orten fühlen und mit meinen eigenen Augen sehen, um zu begreifen was dort war. Wenn ich in einem Bild mein Gefühl einfangen kann, dann hab ich das erreicht, was ich wollte. Mir geht es nicht um den sogenannten „Kick“, den einige Urbexer beim Besuch verspüren wollen, mir geht es eher um den Ort und seine Geschichte.

rottenplaces: Welche Objekte reizen dich aus fotografischer Sicht am meisten und warum?

Zeschky: Das ist schwierig zu beantworten. Meiner Meinung nach hat jedes Objekt hat seine Berechtigung gezeigt und fotografiert zu werden. Man kann überall dort spannende Motive finden, die die Geschichte transportieren. Mich reizen vor allem geschichtsträchtige Orte die in Vergessenheit geraten sind, wie zum Beispiel Bunker und U-Verlagerungen. Darüber spricht man heute nicht mehr so gern. Aber für mich ist es eine „Aufgabe“, diese wieder an das Tageslicht und in den Fokus zu rücken.

rottenplaces: Es gibt die verschiedensten „Blickwinkel“ – wie auch bei der Lost-Place-Fotografie. Während einige Fotografen nur gewisse Motive bevorzugen, legen andere Wert auf eine ausführliche Bilddokumentation, fokussieren fotografisch jeden Winkel und noch so kleinen Raum. Wie ist deine bevorzugte Herangehensweise und warum?

Zeschky: Ich versuche die Objekte in seiner Gesamtheit und Grösse zu fotografieren. Detailaufnahmen mache ich eigentlich sehr wenig. Keine Ahnung warum, darüber habe ich noch nie wirklich nach gedacht. Trotzdem kann man Details oft erkennen, man muss nur in diese Bilder eintauchen und diese Details suchen. Das finde ich an der Fotografie sehr spannend. Es ist für mich wie ein Puzzle und auch ein Aha-Effekt. Oft sehe ich selbst die Details erst, wenn ich meine Bilder bearbeite. Das macht es ja so spannend.

rottenplaces: Deine „Lost Places“ der Begierde führen dich ja nicht nur durch das gesamte Bundesgebiet, sondern auch ins europäische Ausland. Man lernt neben der Fotografie Städte und Orte kennen, trifft auf die verschiedensten Menschen und erlebt die unterschiedlichsten Situationen. Hast du auf einer deiner Touren schon einmal etwas Kurioses oder Merkwürdiges erlebt – und wenn ja, was?

Zeschky: So was passiert mir ständig und denke das das auch ein Geschenk beim Urbexen ist. Gerade wenn man aus dem Untergrund zurück an das Tageslicht kommt und ein Spaziergänger einen sieht. Da ist erstmal dieses verdutzte fragende Gesicht und man kommt ins Gespräch. Entweder bekomme ich dann noch Hintergrundinformationen zu dem besuchten Objekt oder der Spaziergänger ist fasziniert von dem, was ich an das Tageslicht befördert habe. Es gibt noch viele Menschen, die wissen gar nicht was Urban Exploring ist und fragen dann auch warum man es macht. Dabei bekomme ich oft neue Orte genannt, die interessant sein können.

Die schönste Geschichte habe ich im Osten Deutschlands erlebt. Wir wollten eine Kaserne fotografieren. Auf dem Weg dorthin kamen wir in ein kleines Dorf und fanden ein illegales Cafe im Garten eines Rentner Ehepaares, die sich ihre Rente aufgebessert haben. Wir wollten nur einen Kaffee dort trinken und dann weiter, Richtung Kaserne. Schnell kamen wir mit dem Ehepaar ins Gespräch und sie erzählten uns viele Geschichten zu den Dorf, den Leuten dort und auch zu der Kaserne, die dort in der Nähe liegt. Der alte Mann erzählte uns von einem Eiswagen der auf der anderen Seite der Kaserne stand und den russischen Soldaten dort Eis verkauft hat. Er wollte dort immer hin und sich auch ein Eis kaufen. Leider ging das nicht, da der Eiswagen im Sperrgebiet stand. Als die Russen dann dort abgezogen waren, sah er seine Chance, endlich sein Eis zu bekommen. Also ist er eines Samstags morgens dort hin gegangen. Leider war der Eiswagen auch nicht mehr dort und er bekam kein Eis.

Wir haben den ganzen Tag in diesem Cafe verbracht und haben es nicht mehr geschafft zur Kaserne zu fahren. Aber das fanden wir auch gar nicht so schlimm, weil das Rentnerehepaar einfach so spannende Geschichten erzählt hatte. Meiner Meinung auch eine Form von Urban Exploring. Die Kaserne wollen wir nun diesen Sommer fotografieren und danach wieder das Cafe besuchen. Vorher dort einzukehren wird nichts bringen, sonst kommen wir da wieder nicht weg und werden es nie schaffe, die Kaserne abzulichten.

rottenplaces: Welche Kamera(s) setzt du auf deinen Fototouren ein und was für ein Equipment wird von dir bevorzugt – gerade auch im Untergrund?

Zeschky: Ich benutze eine Canon 7D und diverse Objektive. Im Untergrund benutzte ich ein Canon 10-22mm Objektiv. Andere Objektive habe ich dort nicht dabei. Zum einen muss ich weniger tragen und zum anderen ist es auch nicht gut, ständig im Untergrund das Objektiv zu wechseln. Es ist sehr feucht und staubig dort unten und beim Wechsel des Objektives kommt dann schnell Schmutz und Feuchtigkeit auf den Chip. Des Weiteren habe ich diverse Taschenlampen und eine Benzinlaterne dabei, um die Szenerie auszuleuchten.

rottenplaces: Fotografen wie du sehen auf ihren Fototouren zu verfallenen und verlassenen Objekten und Orten viel Vandalismus und kriminelle Energie, die den Gebäuden und Plätzen arg zugerichtet hat. Teilweise sind solche, nicht nachvollziehbaren Entgleisungen der Grund für die Zerstörung und das Ende selbiger. Das Resultat sind komplexe Sicherheitsvorkehrungen der Eigentümer und harte Strafen für Fotografen, die ohne spezielle Genehmigung diese Objekte betreten. Wie ist deine Meinung zu diesem Thema?

Zeschky: Ich kann nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die mit solchen Orten so umgehen. Diese Leute haben für mich absolut keinen Respekt. Leider spiegelt das unsere Gesellschaft wieder. Wir sind zu einer Wegwerfgesellschaft verkommen und das kann man besonders an diesen Orten sehen. Ich kann die Eigentümer verstehen, dass sie solche drastischen Maßnahmen ergreifen und ich glaube wir Urbex-Fotografen müssen damit leben. Besser wird es nach meiner Meinung leider nicht.

rottenplaces: Roman, du hast auf deinen Fototouren bereits zahlreiche Orte und Objekte besucht. Gibt es eine Location – wo auch immer – die du einmal gerne aufsuchen würdest und warum?

Zeschky: Ich würde gern mal die gesamte Magiot-Linie fotografieren wollen. Zum einen, weil es ein geschichtsträchtiger Ort ist und zum anderen interessieren mich dort die kunstvollen Wandbilder, die die Soldaten dort an die Bunkerwände gemalt haben, um den tristessen Alltag zu entfliehen. Die Soldaten dort waren ja teilweise monatelang in den unterirdischen Kasernen stationiert und haben selten Tageslicht gesehen. Mal schauen, vielleicht bekomme ich ja mal die Gelegenheit dazu.

rottenplaces: Die Leidenschaft, an vergessenen und/oder verlassenen Orten zu fotografieren infiziert immer mehr Menschen. Das rasante Ausbreiten dieses für die meisten doch eher als Freizeitvertreib betriebe Hobby bringt nicht nur Vorteile mit sich. Wie ist deine Meinung dazu?

Zeschky: Erst einmal finde ich es gut, dass sich immer mehr Menschen mit den Hobby des Urban Exploring begeistern. Warum auch nicht, ich wäre der letzte, der was dagegen sagen würde. Aber der Ton macht die Musik. Ich weiß nicht, ob man einen Grossteil der neuen Generation als Urban Explorer bezeichnen kann. Weil was die machen hat in meinen Augen mit Urban Exploring nichts zu tun. Das sind für mich Motivsammler, rennen nur dem Bild hinterher und die Geschichte dahinter interessiert sie nicht. Auch kann ich die „Dekorateure“ nicht verstehen. Das ist auch so ein neues Phänomen in der Szene. Warum muss ich für ein Bild einen Raum komplett umdekorieren? Das zeigt mir, dass diese Leute mit Urban Exploring nichts am Hut haben, sondern nur motivgeil sind. Sie zerstören damit die Atmosphäre des Ortes und haben keinen Respekt vor diesen.

rottenplaces: Was gibt es demnächst von Roman Zeschky zu lesen, sehen oder hören, bzw. wie lauten deine Zukunftspläne?

Zeschky: Ich arbeite gerade mit einer befreundeten Autorin an einen Bildband, der meine Untergrundfotografie zeigt. Im Sommer werde ich auch wieder an der urbEXPO in Bochum teilnehmen. Darauf freue ich mich schon besonders, da man dort auch wieder viele Gleichgesinnte trifft.

Wir danken Roman Zeschky für das Interview.
Das Interview führte André Winternitz